Ein Anwalt unterm Weihnachtsbaum

Ebook & Taschenbuch

Es könnte eine wunderbare Vorweihnachtszeit für Michelle Sanders sein, wären da nicht die ständigen Reibereien mit Trent Forsythe, dem in Salt Lake City als ‚Hai ‚ bekannten Staranwalt. Ausgerechnet der attraktive Womanizer ist ihr Gegenspieler im Streit um ein Grundstück in Elkpoint, einem kleinen, beschaulichen Städtchen in Idaho. Hartnäckig versucht er, Michelle zu verführen, doch sie scheint gegen seinen Charme vollständig immun zu sein.
Als die beiden eineinhalb Wochen vor Weihnachten den Austragungsort ihrer Gefechte schließlich nach Elkpoint verlegen, greift Michelle zu ungewöhnlichen Mitteln, um ihren Gegner auszubooten. Dabei stellt sie sehr bald fest, dass Trent gar nicht so herzlos ist, wie sie anfangs dachte …

Liebenswerte, schräge Figuren, eine winterliche Kulisse und eine große Portion Humor machen diese romantische und turbulente Weihnachtskomödie zu einem unterhaltsamen Lesevergnügen.


Kapitel 1

Irgendetwas polterte und riss Michelle Sanders aus dem Schlaf. Es dauerte einen Moment, bis ihr bewusst wurde, dass sie am Vorabend über ihren Unterlagen eingeschlafen war. Einer der Bügel ihres Push-up-BHs drückte unangenehm in ihre Brust, ihr rechtes Bein lag auf einem Aktenordner und fühlte sich irgendwie taub an. Ein weiterer Ordner lag auf dem Fußboden, vermutlich war er der Verursacher des Geräuschs gewesen. Gähnend richtete sie sich auf und streckte sich. Müde und leicht orientierungslos saß sie auf dem Bett, bis ihr Blick zufällig auf den Schneemann-Wecker fiel, den sie vor ein paar Wochen auf einem Trödelmarkt ergattert hatte.

Sofort war sie hellwach und sprang mit einem leisen Schrei des Entsetzens auf.

Es war kurz nach sieben, um acht Uhr sollte sie in der Innenstadt von Salt Lake City sein und eigentlich hätte sie schon vor einer Stunde aufstehen müssen.

»Verdammt, verdammt, verdammt«, fluchte sie höchst undamenhaft, während sie hektisch zwischen ihrem Kleiderschrank, der offenen Küche und dem Bad hin und her pendelte.

Welcher Geisteskranke machte denn auch Termine zu dieser nachtschlafenden Uhrzeit?

Notgedrungen beschloss sie, auf die Dusche zu verzichten, ein bisschen Deodorant und eine ordentliche Portion Parfüm mussten ausreichen. Sie stellte die Kaffeemaschine an und schnappte sich einen Lebkuchen von dem Teller mit Weihnachtsplätzchen, der auf dem Tisch stand. Danach zog sie eine weiße Bluse über und schlüpfte in das zweiteilige, schwarze Kostüm, welches sie normalerweise nur zu Beerdigungen trug. Anschließend versuchte sie, ihre Beine in die hauchdünnen Seidenstrümpfe zu fädeln, was mit dem Gebäck in der Hand gar nicht so einfach war. Genervt klemmte sie das Plätzchen zwischen die Zähne, rollte die Strümpfe hoch und durchwühlte anschließend ihren Schrank nach den schwarzen Pumps.

»Wo zum Teufel … ah, da.«  ​​ ​​ ​​ ​​ ​​ ​​ ​​ ​​ ​​ ​​ ​​ ​​​​ 

Während sie mit einer Hand auf ihrem Schreibtisch herumkramte und die benötigten Unterlagen in ihre Aktentasche stopfte, bewegte sie mit der anderen die Zahnbürste in ihrem Mund hin und her.

Plötzlich ertönte eine blecherne Melodie, der Wecker begann ‚Frosty the Snowman‘ zu spielen.

»Jetzt brauchst du dich auch nicht mehr zu melden, du dummes Ding«, schimpfte sie verärgert und drückte auf den schwarzen Zylinder, um das Gerät zum Schweigen zu bringen.

Nachdem sie hastig einen Schluck Kaffee heruntergestürzt hatte, öffnete sie noch rasch das erste Türchen ihres Adventskalenders und verschlang gierig das kleine Stück Schokolade. Sie schlüpfte in ihre dicken Boots, verstaute die Pumps in ihrer Umhängetasche und zog ihren alten Wintermantel mit Fischgrätmuster über. Dann eilte sie aus der Wohnungstür und prallte dort mit ihrer Freundin Eve zusammen, einer Medizinstudentin, die das benachbarte Apartment bewohnte.

»Wie siehst du denn aus?«, fragte Eve verwundert. »Ist jemand gestorben?«

»Quatsch«, ungeduldig hämmerte Michelle auf den Rufknopf des Fahrstuhls, »ich habe doch heute diesen Termin bei Forsythe & Associates.«

»Denkst du daran, dass wir noch die Geschenke für unsere Secret-Santa-Party besorgen müssen?«

Michelle wandte sich zur Treppe. »Jaja, wir besprechen das nachher, ich bin schon viel zu spät dran.«

»Micky, warte, du hast da …«, begann Eve, aber Michelle bekam es nicht mehr mit.

Sie eilte die Stufen hinunter und verließ das Haus durch den Hintereingang.

Im Hof der ehemaligen Lagerhalle angekommen setzte sie sich in ihren alten, grasgrünen Plymouth Duster, den sie liebevoll Hulk getauft hatte. Die Bezeichnungen, die sie ihm zwei Minuten später gab, waren jedoch alles andere als liebevoll, denn Hulk wollte einfach nicht anspringen. Zwar war er unter dem Carport vor Schnee geschützt, doch die Kälte gefiel ihm gar nicht, und der Motor gab keinen Mucks von sich, so sehr Michelle sich auch abmühte.

Schließlich gab sie es auf und beschloss, sich ein Taxi zu nehmen. Ein Fußmarsch zur nächsten Trax-Station war zu weit, dafür reichte die Zeit auf keinen Fall.

Entschlossen stapfte sie die paar Schritte über den halbwegs geräumten Gehweg bis zur South 300 West, stellte sich dort an den Straßenrand und winkte einem gelben Wagen, den sie die vierspurige Straße hinaufkommen sah. Aber entweder war ihre Geste nicht eindeutig genug, oder der Fahrer schlief, das Yellow Cab fuhr mit unvermittelter Geschwindigkeit weiter.

»Penner«, murmelte sie verärgert vor sich hin.

Da entdeckte sie ein anderes Taxi, das auf der gegenüberliegenden Fahrbahn heranrollte. Sie trat einen Schritt nach vorne, hob die Arme und vollführte wilde Bewegungen, die denen eines Fluglotsen beim Einweisen einer Boeing glichen.

Im gleichen Moment schoss ein Sportwagen an ihr vorbei, nahm zielgerichtet die riesige Pfütze mit, die sich durch den schmelzenden Schnee im Rinnstein gebildet hatte, und eine Woge eisigen, schmutzigen Schneematschs ergoss sich über sie.

Mit einem ganzen Bündel unfeiner Ausdrücke auf den Lippen sah Michelle an sich herunter, um dann wütend dem roten Camaro hinterherzustarren. Wüste Verwünschungen ausstoßend hob sie die Faust und zu ihrer Überraschung sah sie plötzlich die Bremslichter des Wagens aufleuchten. Die weiße Rückwärtsfahrleuchte ging an, das Auto schoss jetzt rückwärts auf sie zu und hielt vor ihr an.

»Danke, dass ich durch Sie doch noch zu meiner Dusche gekommen bin«, fauchte sie, als die getönte Scheibe des Fensters auf der Beifahrerseite herunterglitt.

»Sie hätten sich ja nicht so dicht an den Straßenrand stellen müssen«, bellte ihr eine tiefe Stimme entgegen. »Wenn Sie demnächst Ihre Gymnastikübungen absolvieren, sollten Sie sich einen anderen Platz dafür aussuchen.«

»Auch noch frech werden, was? Sparen Sie sich Ihre dummen Sprüche und verschwinden Sie, es warten bestimmt weitere Pfützen darauf, auf ahnungslosen Frauen verteilt zu werden.«

Ein leises Lachen erklang aus dem Inneren des Wagens. »Hören Sie Lady, es tut mir leid. Ich bezahle Ihnen natürlich die Reinigungskosten.«

»Danke, aber dafür habe ich jetzt keine Zeit«, erklärte sie giftig. »Ich muss zu einem Termin, ich brauche ein Taxi, und es wäre nett, wenn Sie mir dabei nicht im Weg stehen würden.«

Die Beifahrertür des Sportwagens wurde geöffnet. »Steigen Sie ein.«

»Was?«

»Wenn Sie schon kein Geld für die Reinigung annehmen wollen, kann ich meinen Fehler wenigstens auf diese Weise wieder gutmachen.«

Entgeistert starrte sie den Mann an, der sich über den Beifahrersitz gebeugt hatte und eine auffordernde Handbewegung machte. Wollte er sie etwa abschleppen? Nein, entschied sie im gleichen Moment, dafür entsprach sie mit Sicherheit nicht seinem Frauentyp. Dem Auto nach zu urteilen bevorzugte er garantiert mehr den Typ Blondine mit maximalem Busen und minimalem Hirn.

Sie überlegte kurz. Zum einen war sie sowieso schon viel zu spät dran, und es konnte noch ewig dauernd, bis sie ein Taxi ergatterte. Zum anderen hätte sie so die Chance, die Polster seines aufreißerischen Wagens mit dem schmutzigen Pfützenwasser zu versauen, welches an ihr heruntertropfte, und ihm so sein dämliches Fahrmanöver heimzuzahlen. Außerdem sah er nicht gerade aus wie ein Sittenstrolch, und falls er doch einer war, hatte sie ja immer noch ihr Pfefferspray in der Tasche.

Ohne weiteres Zögern ließ sie sich auf den Beifahrersitz plumpsen und legte sich den Gurt um. »Zum One Utah Center«, kommandierte sie, als wäre er ihr Chauffeur, und genoss den entgeisterten Ausdruck in seinem Gesicht.

Es dauerte einen Moment, bis er sich wieder gefangen hatte, dann grinste er. »Zu Befehl, Ma’am.«

Er legte den Gang ein und gab Gas. Sekunden später bereute sie bereits, dass sie sich in dieses Mordinstrument gesetzt und sich seinen Fahrkünsten anvertraut hatte. Offenbar litt er an einer Persönlichkeitsstörung und hielt sich für einen Formel-1-Piloten.

»Die Beiträge für Ihre Autoversicherung sind sicher astronomisch hoch«, murmelte sie bissig, während sie sich in dem mittlerweile reichlich durchnässten Polster ihres Sitzes festkrallte.

»Sagten Sie nicht, Sie hätten es eilig?«

»Schon, aber nicht unbedingt damit, unter einem hübschen Hügel aus Erde zu liegen.«

Er grinste wieder und drosselte das Tempo.

Schweigend fädelte er den Wagen durch den morgendlichen Berufsverkehr und Michelle hatte Gelegenheit, ihn ein wenig ausführlicher zu betrachten.

Ein typischer Playboy, entschied sie nach einem raschen Blick auf seinen anthrazitfarbenen Maßanzug, die dezent gemusterte Seidenkrawatte und die goldene Rolex an seinem linken Handgelenk. Vermutlich verprasste er das schwer verdiente Geld seines reichen Vaters, er sah nicht so aus, als hätte er sich schon jemals in seinem Leben die Hände schmutzig machen müssen. Sie musterte sein Profil. Kurzes, dunkelblondes Haar, das ordentlich frisiert war, mit einem akkuraten Seitenscheitel, über der Stirn ein wenig nach oben gekämmt. Eine gerade Nase, ein kantiges, energisches Kinn, glatt rasiert, mit einer kleinen Kerbe darin. Um die schmalen Lippen spielte ein leicht amüsierter Zug. Die Augen waren hinter einer Ray-Ban-Sonnenbrille verborgen, und sie hoffte, dass er sie auf die Straße gerichtet hatte und sich auf den recht dichten Verkehr konzentrierte.

Irgendwie kam er ihr bekannt vor, doch sie wusste nicht woher, und war auch viel zu aufgeregt und nervös, um sich darüber Gedanken zu machen.

»Was haben Sie denn im One Utah Center zu tun?«, wollte er wissen.

Ihr lag bereits wieder eine patzige Antwort auf der Zunge, aber inzwischen war ihre erste Wut ein bisschen verraucht, und das ruinierte Polster seines Wagens hob ihre Laune ein wenig an.

»Ich habe einen Termin mit Trent Forsythe«, erklärte sie daher ruhig. Als sie sah, wie seine Augenbrauen hinter der dunklen Brille in die Höhe ruckten, fügte sie hinzu: »Der Hai.«

»Ja, ich habe schon mal von ihm gehört. Kennen Sie ihn persönlich?«

»Nur dem Namen nach, er soll ein harter Brocken sein.«

»Und was haben Sie mit ihm zu tun?«

»Ach, es geht um ein Grundstück in Idaho. Er vertritt …« Sie stieß einen leisen Schrei aus und krallte ihre linke Hand in seinen Oberschenkel. »Ist das wirklich eine Sonnenbrille oder haben Sie nur die gelbe Armbinde mit den drei schwarzen Punkten vergessen? Sie hätten beinahe eine Katze überfahren.«

Er warf einen Blick in den Rückspiegel. »Da ist keine Katze.«

»Jetzt nicht mehr«, erwiderte sie sarkastisch, »Sie haben sie erfolgreich in die Flucht geschlagen.«

Mit einem kaum merklichen Kopfschütteln fuhr er weiter die weihnachtlich geschmückte South Main Street hinauf, und plötzlich fiel Michelle ein, dass sie noch ihre Schuhe wechseln musste. Sie nahm die Pumps aus ihrer Umhängetasche, zerrte ihren Mantel beiseite und versuchte, sich nach vorne zu beugen, um ihre Boots auszuziehen, was durch die Enge der Recarositze und den Sicherheitsgurt kein einfaches Unterfangen war. Schließlich gelang es ihr, sich davon zu befreien und in die Halbschuhe zu schlüpfen. Nachdem sie die Stiefel in ihre Tasche gestopft hatte, bemerkte sie das amüsierte Lächeln ihres unbekannten Fahrers.

»Was?«, fragte sie gereizt. »Noch nie eine Frau gesehen, die sich ihre Schuhe auszieht?«

»Schon, aber in der Regel tun sie das nicht in meinem Auto.«

»Wohl eher in Ihrem Schlafzimmer«, murmelte sie unwirsch vor sich hin und verdrehte die Augen, als er breit grinste.

Wenig später hatten sie das One Utah Center erreicht. Er hielt direkt vor dem Eingang an und Michelle sprang aus dem Wagen.

»Also dann …«

»Moment – was ist mit Ihrer Telefonnummer?«

Irritiert starrte sie ihn an. »Wozu?«

»Damit ich Sie anrufen kann, wegen der Reinigungskosten.«

»Netter Versuch, aber vergessen Sie es, ich bin nicht Ihr Typ.«

Er schmunzelte. »Wenn Sie es sagen. – Viel Erfolg beim Hai.«

»Danke.«

»Ach übrigens, Sie haben da …«

Ohne das Ende seines Satzes abzuwarten, warf Michelle die Autotür zu und trippelte mit eiligen Schritten zum Eingang des Wolkenkratzers.

In der Eingangshalle des vierundzwanzigstöckigen Bürogebäudes war ein prächtig geschmückter Weihnachtsbaum aufgestellt, doch Michelle hatte keinen Blick dafür. Während sie mit dem Fahrstuhl in die sechzehnte Etage hinauffuhr, wo sich die Räume der Kanzlei Forsythe & Associates befanden, bereitete sie sich im Geiste auf das vor ihr liegende Gespräch vor.

Im Prinzip war ihre Aufgabe ganz einfach. Trent Forsythe vertrat die Wessington-Group, einen riesigen Hotelkonzern, der ein Grundstück in Elkpoint, Idaho, erwerben wollte. Es war geplant, dort einen dieser seelenlosen Kästen aus Beton und Glas hinzustellen. Roger Brennart, Michelles Onkel und Chef, war als Anwalt von einer alten Freundin, Berta Riker, engagiert worden. Sie war Vorsitzende der Nature Protectors Idaho, kurz NPI genannt, einer Umweltschutzgruppe, die sich ebenfalls für das Land interessierte, um es als Naturschutzgebiet deklarieren zu lassen. Der Bürgermeister der kleinen Stadt in Idaho, dem der Verkauf oblag, hatte beiden Interessenten das Vorkaufsrecht zugesichert, sodass ein erbitterter Streit entbrannt war. Michelle war nun hier, um Trent Forsythe ein Angebot zu unterbreiten, damit sein Mandant auf den Kauf des Grundstücks verzichtete.

Dass es jedoch nicht ganz so einfach war, wie sie gehofft hatte, stellte sich sehr schnell heraus.

Als Michelle die Kanzlei von Forsythe & Associates betrat, verflüchtigte sich ihr gewohntes Selbstbewusstsein in Sekundenschnelle. Zwar hatte sie nicht das gleiche schäbige Chaos erwartet, welches in den Büroräumen ihres Onkels vorherrschte, aber mit der gediegenen Eleganz, die ihr hier entgegenschlug, hatte sie nicht gerechnet.

Die Wände waren mit einem edlen Holz getäfelt, überall blitzte Chrom, ihre Absätze versanken fast vollständig in einem weichen, cremefarbenen Veloursteppichboden. Die Empfangsdame, die hinter einem ausladenden, gläsernen Tisch saß, wirkte wie ein Model, ebenso der Bürobote, der in einem dunklen Anzug mit einem Wagen voller Akten vorbeieilte.

Dem Empfang gegenüber befand sich eine teuer aussehende Klubgarnitur aus Honigmahagoni mit schwarzem Leder, ein Dreisitzer und zwei Sessel. Auf einem runden Couchtisch lagen ein paar Zeitschriften, in einer Vase steckten ansprechend dekorierte Tannenzweige. Direkt neben dem Sitzbereich hatte man einen Weihnachtsbaum aufgestellt, der mit weißem und silbernen Schmuck behangen war und äußerst stilvoll aussah.

Alles hier roch nach Geld, und Michelle fühlte sich reichlich deplatziert, daran konnte auch ihr Beerdigungskostüm nichts ändern.

Mit einem unhörbaren Seufzen straffte sie die Schultern und ging auf die Heidi-Klum-Kopie zu. »Mein Name ist Michelle Sanders, ich bin von Brennart Law und habe einen Termin mit Trent Forsythe.«

Die Blonde musterte sie mit einem Blick, als würde sie ein ekliges Insekt betrachten, schaute dann in einen Terminkalender und nickte. »Kommen Sie bitte mit.«

Sie erhob sich und schwebte mit graziösen Schritten auf eine Tür zu, Michelle folgte ihr und fand sich kurz darauf in einem riesigen, luxuriösen Büro wieder.

»Mr. Forsythe wird gleich da sein«, war der knappe Kommentar, mit dem Model-Barbie sie alleine ließ.

Unsicher nahm Michelle auf einem der bequemen Besucherstühle vor dem wuchtigen Teakholz-Schreibtisch Platz und sah sich um.

Eine nobel wirkende Couchgarnitur aus rehbraunem Nappaleder beherrschte eine Seite des Raums, ein Kaffeetisch auf Chromfüßen mit Glasplatte stand davor. Die gegenüberliegende Wand wurde komplett von einem Teakholzregal eingenommen, in welchem sich etliche Fachbücher befanden, sämtlich in kostbarem Leder eingebunden.

Der Tisch vor ihr war penibel aufgeräumt. Außer einem Telefon, einer Schreibtischunterlage sowie einer Schale mit Stiften und einem silbernen Brieföffner gab es dort kein einziges Indiz dafür, dass daran gearbeitet wurde. Hinter dem Schreibtisch erstreckte sich eine breite Fensterfront, durch die man eine ausgezeichnete Aussicht auf die verschneite Wasatch-Bergkette hatte.

Nervös wippte Michelle mit dem Fuß auf und ab. Trent Forsythe ließ sie warten, und ihr war klar, dass das zu seiner Taktik gehörte. Den Spitznamen Hai hatte er nicht umsonst, er war der am meisten gefürchtete und gleichzeitig bewunderte Mann in der Branche, und das nicht nur in Salt Lake City. Seine Härte und Unnachgiebigkeit waren allseits bekannt, und von Onkel Roger hatte sie gehört, er habe noch nie einen Fall verloren. Er stand in dem Ruf, die Interessen seiner Mandanten rücksichtslos durchzusetzen, und wer sein Gegner war, musste mit dem Schlimmsten rechnen.

Michelle ahnte, dass ihr kein leichtes Gespräch bevorstand, auf das, was dann geschah, war sie jedoch nicht gefasst.

Nachdem sie geschlagene zwanzig Minuten gewartet hatte, öffnete sich endlich eine Seitentür, und ein Mann kam herein, den sie zu ihrem Entsetzen als ihren unbekannten Chauffeur identifizierte.

»Sie?«, entfuhr es ihr verblüfft. »Sie sind der Hai?«

Kapitel 2

Jetzt war Michelle klar, weshalb der Rennfahrer-Verschnitt ihr so bekannt vorgekommen war, und sie hätte sich ohrfeigen können für ihre Dummheit.

Ohne eine Miene zu verziehen, bewegte Trent Forsythe sich mit der Geschmeidigkeit einer Raubkatze auf den Schreibtisch zu, und unwillkürlich schoss ihr durch den Kopf, dass der Spitzname Tiger viel besser zu ihm gepasst hätte.

Er ließ sich in den eleganten Ledersessel fallen und fixierte sie eindringlich aus strahlend blauen Augen.

»Nein.«

Michelle riss überrascht den Mund auf. »Was?«

»Ich sagte Nein. Was auch immer Sie mir unterbreiten wollen, meine Antwort lautet Nein.«

»Aber … ich …«

»Ich würde ja gerne weiter mit Ihnen plaudern, doch leider muss ich um neun Uhr im Gericht sein. Einen angenehmen Tag noch, Miss Sanders.«

Völlig überrollt stand Michelle auf und ging zur Tür, auf halbem Weg dorthin erwachte jedoch plötzlich ihr Kampfgeist. Schließlich hatte sie gestern nicht den ganzen Abend die Unterlagen studiert, damit dieser ungehobelte Klotz sie jetzt wegschickte wie eine Hausiererin. Entschlossen drehte sie sich um und funkelte Trent Forsythe an.

»Hören Sie Mr. Forsythe, ich weiß nicht, ob es Ihre übliche Art ist, sich so respektlos zu benehmen, doch ich werde mir das nicht gefallen lassen. Wie Sie wissen, habe ich eine strapaziöse Autofahrt auf mich genommen, um pünktlich hier zu sein, und da kann ich ja wohl erwarten, dass Sie wenigstens so viel Manieren haben, mir zuzuhören. Hai hin, Hai her – ich verlasse dieses Büro nicht eher, bis ich losgeworden bin, was ich zu sagen habe.«

Um seine Mundwinkel zuckte es. »Also gut, von mir aus. Ich gebe Ihnen fünf Minuten, aber meine Antwort wird auch danach noch Nein lauten.« Lässig lehnte er sich in seinem Stuhl zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. »Die Zeit läuft, fangen Sie an.«

Michelle schnaubte. Dieser Kerl war so selbstgefällig, dass sie den Erziehungsgrundsatz ihrer Mutter, körperliche Gewalt sei keine Lösung, nur zu gerne vergessen hätte – wenigstens für ein paar Sekunden. Der Gedanke, ihm den silbernen Brieföffner in seine breite Brust zu rammen, erschien ihr geradezu verlockend.

Doch sie beherrschte sich und ließ ihren Ärger stattdessen an ihrer Aktentasche aus, deren Verschluss jetzt zu allem Überfluss auch noch klemmte.

»Verdammtes Ding«, fluchte sie leise, während sie hektisch an dem Lederriemen herumzerrte.

Als die Schnalle endlich nachgab, und sie mit einer – wie sie hoffte – überlegenen Bewegung ein Dokument auf den Tisch warf, bemerkte sie ein belustigtes Glimmen in seinen Augen, was ihren Zorn noch mehr anstachelte.

»500.000 Dollar«, erklärte sie hoheitsvoll, »dafür tritt Ihr Mandant von seinem Vorkaufsrecht zurück.«

Er verzog keine Miene. »Nein.«

»Hören Sie, das ist ein gutes Angebot«, betonte sie jetzt hastig, in dem Bewusstsein, dass er sie wohl jeden Moment vor die Tür setzen würde. »Eine gerichtliche Auseinandersetzung würde Ihren Klienten wesentlich mehr kosten, immerhin geht es um einen Streitwert von ein paar Millionen Dollar.«

»Nein.«

Wütend sprang sie auf. »Dann eben nicht«, fauchte sie ihn an. Sie nahm das Dokument vom Tisch, riss es in kleine Fetzen und warf sie ihm entgegen. »Ersticken Sie daran, Mr. Hai.«

So schnell es ihr auf ihren hohen Absätzen möglich war, stapfte sie zur Tür.

»Einen Moment noch Miss Sanders«, ertönte die tiefe Stimme in ihrem Rücken.

Sie drehte sich um. »Was?«, fragte sie ungnädig.

Mit einem amüsierten Lächeln ließ er seinen Blick über ihre Beine gleiten. »Sie haben da eine Laufmasche.«

Nachdem sich die Tür hinter Michelle geschlossen hatte, lehnte Trent sich bequem in seinem Stuhl zurück und schmunzelte.

Das war ja mal ein temperamentvoller Auftritt gewesen. Normalerweise verhielten sich seine Besucher wesentlich respektvoller, vor allem wenn es Vertreter der Gegenpartei waren, die auf eine gütliche Einigung hofften. Niemand wollte sich gerne mit dem Hai anlegen; dass er in Wirklichkeit nicht der eiskalte Kerl war, für den ihn alle hielten, wussten die Wenigsten, umso mehr bewunderte er Michelle Sanders‘ Schneid.

Bevor er diese Gedanken weiterführen konnte, öffnete sich die Tür und sein Vater betrat den Raum. Der hochgewachsene Mann mit den dunklen Haaren und den leicht ergrauten Schläfen trat an den Schreibtisch und betrachtete irritiert die Papierfetzen.

»Was hat das denn zu bedeuten?«

Trent zuckte mit den Schultern, fegte die Schnipsel mit der Hand zusammen und warf sie in den Papierkorb. »Nichts Besonderes, nur eine kleine Kontroverse mit der Vertreterin der NPI.«

»Die Wessington-Sache – wie ist es gelaufen?«

»Na wie wohl? Ich habe das Angebot natürlich abgelehnt.«

»Sehr schön.« Gregory Forsythe nickte zufrieden. »Steve Wessington ist einer unserer wichtigsten Klienten und sein Einfluss kann mir in meiner zukünftigen Position als Richter nicht schaden. Was hast du als nächsten Schritt geplant?«

Trent zuckte mit den Achseln. »Ich werde wohl nach Elkpoint fahren und mir den Bürgermeister vorknöpfen. Schließlich kann er uns nicht ewig hinhalten, irgendwann muss er ja mal eine Entscheidung treffen.«

»Dann sorge dafür, dass sie zugunsten unseres Mandanten ausfällt.«

»Das werde ich, keine Angst.«

»Wir müssen gleich zum Gericht – bist du ausreichend vorbereitet?«

»Ja, sicher.«

»Gut. Wir brauchen unbedingt einen Freispruch für Parker Sullivan. Bei dem Aufsehen, das dieser Fall erregt hat, können wir uns eine Niederlage nicht leisten.«

Trent presste die Lippen zusammen. »Das ist mir bewusst, du musst es mir nicht alle fünf Minuten unter die Nase reiben. Wenn du der Meinung bist, ich wäre nicht in der Lage, die Sache zu regeln, solltest du dich vielleicht selbst darum kümmern.«

»So habe ich das nicht gemeint. Du bist ein ausgezeichneter Anwalt und ich habe vollstes Vertrauen zu dir, sonst würde ich dir nicht die Leitung der Kanzlei übertragen.«

»Ja, sicher«, murmelte Trent ohne große Begeisterung.

Mit einem zufriedenen Nicken verließ Gregory Forsythe den Raum, und Trent stieß einen neuerlichen Seufzer aus.

Der ständige Druck, den sein Vater auf ihn ausübte, ging ihm gewaltig auf die Nerven. Als der ältere von zwei Söhnen war er der ‚Thronfolger‘ und dazu auserkoren, die Tradition der Kanzlei, die 1916 von seinem Ururgroßvater gegründet worden war, fortzuführen. Dieser hatte sich zunächst als einzelner Anwalt betätigt, der hauptsächlich Leute verteidigte, die gegen die Prohibition verstoßen hatten. Im Laufe der Jahre waren dann Partner dazugekommen, und inzwischen war Forsythe & Associates eine landesweit operierende und renommierte Anwaltsfirma.

Zum ersten Januar sollte Trent nun die Leitung der Kanzlei übernehmen, und ihm war klar, dass sein Vater die Wessington-Angelegenheit als eine Art Feuerprobe betrachtete. Trent hatte bereits seit Tagen mit dem Gedanken gespielt, den Fall abzugeben, da er bis über beide Ohren in dem Mordprozess gegen Parker Sullivan steckte. Doch jetzt, nach der Begegnung mit Michelle Sanders, schienen die Dinge interessant zu werden – zumindest hoffte er das.

Unterdessen war Michelle auf dem Weg zur Anwaltskanzlei ihres Onkels, die vier Häuserblocks entfernt in einer schmalen Seitenstraße lag. Innerlich fluchend stapfte sie über die gestreuten Gehwege, ohne ein Auge für die üppige Weihnachtsdekoration in den Schaufenstern und an den Fassaden zu haben. Sie war wütend auf Trent Forsythes Benehmen, und wütend auf sich selbst.

Seit Tagen berichteten sämtliche Medien über den bevorstehenden Sullivan-Prozess, in dem der Hai einen Mann vertrat, der den Stalker seiner Frau erschossen hatte. Sein Gesicht tauchte auf jeder Titelseite und in jeder Nachrichtensendung auf, und obwohl sie den Fall gespannt verfolgte, hatte sie ihn im Auto nicht erkannt. Sie war viel zu nervös gewesen wegen des Termins und zu aufgebracht wegen der kalten Dusche, die er ihr verpasst hatte. Wie hätte sie denn auch ahnen können, dass sich ausgerechnet der bekannte Staranwalt hinter dieser Sonnenbrille verbarg? Und anstatt sie gleich aufzuklären, hatte er sich bestens über sie amüsiert.

Missmutig betrat sie das zweistöckige Backsteingebäude, in dem sich die Räume von Brennart Law befanden.

Das ganze Haus machte einen heruntergekommen Eindruck und konnte nicht im entferntesten mit der eleganten Büroetage von Forsythe & Associates im One Utah Center mithalten. Im Erdgeschoss gab es ein Schnellrestaurant, der Geruch nach ranzigem Frittierfett und Knoblauch waberte durch das Treppenhaus bis hinauf in den ersten Stock. Dort lag hinter einer Holztür mit geriffelter Glasscheibe die Kanzlei. Ein zerschrammter Linoleumfußboden, verblichene Tapeten und ein paar schäbige Stühle sowie ein Tisch mit alten Zeitungen empfingen den Besucher. Die einzigen Anzeichen, die hier auf das baldige Weihnachtsfest hindeuteten, waren ein kitschiger Plastikbaum mit bunten Lichtern auf der Fensterbank im Vorzimmer und ein Teller mit Süßigkeiten auf dem wackeligen Holztisch. Vom Vorraum aus gelangte man in das Arbeitszimmer von Roger Brennart und in einen kleineren Raum, der Michelles Refugium war, außerdem gab es noch einen winzigen Waschraum mit Toilette.

Michelle betrat den etwa drei Quadratmeter großen Schuhkarton, den ihr Onkel so großzügig als ihr ‚Büro‘ bezeichnete. Sie ließ sich auf den ramponierten Schreibtischstuhl fallen, atmete ein paar Mal tief durch und wagte sich dann hinüber in die Höhle des Löwen.

Roger Brennart saß hinter seinem verkratzten, mit unordentlichen Papierstapeln überhäuften Tisch und blätterte konzentriert in einer Akte. Eine altmodische Tischlampe erhellte seinen Arbeitsbereich, da durch das verschmutzte, mit Eisblumen überzogene Fenster kaum Licht hereinkam. Trotzdem war der Staub auf der Fensterbank und den Blättern des schiefen Gummibaums deutlich zu erkennen, und die abgegriffenen Gesetzesbücher und Aktenordner in dem wackeligen Regal wirkten in dem Zwielicht noch schäbiger als sonst.

Wie erwartet war Roger nicht begeistert, als Michelle ihm berichtete, was sich bei Trent Forsythe abgespielt hatte.

»Micky«, seufzte er, »dein Temperament wird dich eines Tages noch in Schwierigkeiten bringen. Kein Wunder, dass es kein Mann bei dir aushält.«

»Moment mal«, protestierte sie energisch. »Du wirst doch wohl nicht mir die Schuld daran geben wollen, dass Ethan es vorgezogen hat, sich kurz vor unserer Verlobung mit dem Safeinhalt seines Chefs nach Südamerika abzusetzen.«

»Wenn du etwas netter zu ihm gewesen wärst, hätte er dich mitgenommen«, erwiderte Roger sarkastisch.

»Na vielen Dank. Ehrlich gesagt war ich froh, dass ich ihn los war, das wäre sowieso niemals gut gegangen. Seine pedantische, kleinkarierte Art ging mir ziemlich auf die Nerven. – Und das davor mit Andrew zählt nicht, das war nichts Ernstes.«

»Nun, immerhin ernst genug, dass er nach eurer Trennung mit dem Gedanken gespielt hat, sich in ein Kloster zurückzuziehen.«

»Da passt er auch wunderbar hin, er war furchtbar langweilig und der Meinung, dass Sex etwas Verwerfliches ist. Das Gewagteste, was er nach sechs Monaten getan hat, war, mir seine Hand unter den Pulli zu schieben – am Rücken wohlgemerkt«, grinste sie.

Roger hielt sich die Ohren zu. »Zuviel Information«, betonte er, »das will ich gar nicht so genau wissen.«

Kopfschüttelnd schaute Michelle jetzt wieder auf die Riker-Akte, die auf Rogers Schreibtisch lag. »Und wie geht es nun weiter?«

»Du fährst nach Elkpoint und sprichst mit diesem Bürgermeister. Beweg ihn dazu, dass er sich endlich entscheidet, wem er das Grundstück verkaufen will. Berta drängt, die Organisation möchte die Sache vom Tisch haben und ist bereit, 7,5 Millionen zu zahlen.«

Michelle riss die Augen auf. »So viel? Wow.«

»Ja, es handelt sich um etwa sechs Hektar wunderschönes Waldgebiet an einem See, und sie wollen nicht, dass es durch eine hässliche Bettenburg verschandelt wird. Also wirst du dich morgen auf den Weg machen und den Bürgermeister überzeugen. – Und wenn es möglich ist«, er grinste, »lass dein Temperament zu Hause.«

»Und, wie ist dein Termin heute gelaufen?«, fragte Eve interessiert, als sie am späten Nachmittag an Michelles Tür klingelte.

»Es war eine Katastrophe«, stöhnte Michelle unglücklich, »von Anfang bis Ende eine einzige Katastrophe.«

Eve betrat das Apartment und ließ sich auf einen Sessel fallen. »So schlimm?«, fragte sie mitfühlend, während die Freundin Kaffee kochte.

»Noch schlimmer«, murmelte Michelle dumpf. »Du hättest ihn sehen sollen, diesen arroganten, überheblichen Primaten. Er wollte mich gar nicht zu Wort kommen lassen, wie ein Höhlenmensch hat er sich aufgeführt. Aber bei seinem Fahrstil hätte ich mir das ja denken können.«

Verwirrt runzelte Eve die Stirn. »Fahrstil?«

»Er hätte fast eine Katze überfahren«, berichtete Michelle aufgebracht und grinste dann zufrieden. »Dafür habe ich ihm ordentlich das Polster seines teuren Sportflitzers versaut.«

»Katze, aha«, wiederholte die Freundin trocken. »Ich dachte, dein Termin wäre in einem Büro gewesen.«

»War er ja. Aber Hulk wollte nicht anspringen, und da war diese Pfütze, und zur Krönung fragt er mich auch noch ganz dreist nach meiner Telefonnummer.«

Hilflos hob Eve die Hände. »Kannst du mir vielleicht mal genau erklären, wovon du eigentlich sprichst?«

»Vom Hai natürlich.« Michelle ging zu ihrem Schreibtisch, schaltete ihren Laptop ein und deutete anklagend auf den Bildschirm. »Da, schau ihn dir an.«

Eve stand auf, stellte sich neben sie und begutachtete das Bild von Trent Forsythe, der charmant in die Kamera lächelte, eine dralle, stark geschminkte Blondine hing an seinem Arm.

Der dazugehörige Artikel enthielt einige Hintergrundinformationen zur Person des bekannten Anwalts. Er war der Ältere der beiden Söhne von Gregory Forsythe, dem Besitzer der Kanzlei Forsythe & Associates, und ledig. Die Forsythes waren eine der wohlhabendsten Familien in Salt Lake City, dementsprechend las sich Trents Werdegang auch wie aus einem Bilderbuch.

Highschoolabschluss an einer Privatschule, Studium in Harvard, Einstieg in die Kanzlei seines Vaters, die er zum ersten Januar übernehmen sollte. Er hatte einmal den American Lawyer Award gewonnen sowie diverse regionale Preise und war auf exklusiven Partys genauso häufig anzutreffen wie im Gerichtssaal.

Überrascht runzelte Eve die Stirn. »Das ist doch … vertritt er nicht den Kerl, der den Stalker seiner Frau abgemurkst hat?«

»Er hat ihn erschossen.«

»Wer? Der Hai?«

»Nein, der Ehemann den Stalker. Aber das ist ja auch völlig egal. Sieh ihn dir nur an, diesen eingebildeten Playboy. Wurde mit einem goldenen Löffel im Mund geboren, erbt Daddys Kanzlei, rast mit einem Penisersatz herum und führt sich auf, als gehöre ihm die Welt.«

»Also ist er derjenige, mit dem du heute Morgen den Termin hattest«, schlussfolgerte Eve.

»Allerdings. Erst überfährt er mich beinahe, dann fertigt er mich in fünf Minuten ab, als wäre ich eine lästige Ameise. Ich hätte ihm zu gerne sein überhebliches Grinsen aus dem Gesicht gekratzt.«

Eve gab es auf, etwas verstehen zu wollen. »Und nun? War Roger sehr sauer?«

»Naja, er hat sich nicht gerade überschlagen vor Begeisterung«, Michelle zuckte mit den Achseln, »doch es lässt sich nicht mehr ändern. Außerdem habe ich vermutlich von Anfang an keine Chance gehabt, nicht umsonst nennt man ihn den Hai.« Sie trank einen Schluck Kaffee und machte dann eine wegwerfende Handbewegung. »Egal. Wir fahren jetzt die Geschenke für die Secret-Santa-Party einkaufen.«

»Du solltest dich vorher aber umziehen«, empfahl Eve ihr schmunzelnd, »du hast da …«

»Ich weiß, ich weiß«, unterbrach Michelle sie unwirsch und dachte an Trent Forsythes amüsierten Blick, »eine Laufmasche.«

Kapitel 3

Der nächste Morgen brachte strahlenden Sonnenschein und entsprechend gut war auch Michelles Laune, als sie sich für die Fahrt nach Elkpoint zurechtmachte. Da die Auswahl ihrer Garderobe begrenzt war, blieb ihr nichts anderes übrig, als wieder auf ihr Beerdigungskostüm zurückzugreifen. Nachdem sie sich die Haare zu einem losen Knoten zusammengeschlungen hatte, schlüpfte sie in ihren Mantel, zog die Boots an, schnappte ihre Umhängetasche und verließ das Haus. Wenig später rollte Hulk, der ohne Murren angesprungen war, gemütlich in Richtung Norden. Sie stellte sich einen Radiosender ein, der weihnachtliche Hits spielte, summte entspannt die Melodien mit und genoss den Ausblick auf die schneebedeckten Berge. Noch knapp dreieinhalb Wochen, dann war Weihnachten. Sie würde heute mit diesem Bürgermeister sprechen, ihn davon überzeugen, das Grundstück an die NPI zu verkaufen, und danach konnte sie in Ruhe die Adventszeit genießen.

Ihre Hochstimmung hielt genau so lange an, bis sie die Interstate 15 verließ und sich auf dem Highway 93 nach Elkpoint befand. Etwa fünfzehn Meilen vor dem Ziel entwickelte Hulk plötzlich erneut sein Eigenleben, er ruckelte und bockte eine Weile, bis er schließlich völlig zum Stillstand kam.

»Hulk, warum tust du mir immer wieder so etwas an?«, seufzte Michelle und stieg aus. »Habe ich dich nicht stets gut behandelt?«

Obwohl sie von Autos so wenig Ahnung hatte wie ein Kamel vom Sockenstricken, öffnete sie in einem Anflug von Selbstüberschätzung die Motorhaube und warf einen Blick hinein. Hilflos rüttelte sie an ein paar Kabeln herum, und inspizierte eingehend das Gewirr von Schläuchen und Metallteilen.

»Wenn das mal nicht eine Jungfrau in Not ist«, hörte sie plötzlich eine tiefe Stimme hinter sich.

Erschrocken fuhr sie hoch und stieß sich dabei den Kopf an. »Verdammt, müssen Sie sich so anschleichen«, fauchte sie und rieb sich die schmerzende Stelle.

Sie schob sich die Haare beiseite, die ihr ins Gesicht gefallen waren, und erstarrte, als ihr Blick auf Trent Forsythe fiel, der breit grinsend neben ihrem Wagen stand.

Er trug einen grauen Anzug, ein schwarzes Hemd, dessen obere Knöpfe geöffnet waren, und sah aus, als käme er geradewegs aus einem Modemagazin.

»Von Schleichen kann keine Rede sein, mein Auto ist wohl kaum zu überhören«, erwiderte er belustigt und deutete auf den Camaro, den er ein paar Schritte hinter ihrem Fahrzeug abgestellt hatte.

»Vor allem nicht zu übersehen«, gab sie patzig zurück. »Ihnen ist ja sicher bekannt, was man über Männer mit Sportwagen sagt.«

Trent grinste breit. »Oh, ich kann Ihnen versichern, dass ich diesbezüglich nichts kompensieren muss.«

Mit einem leisen Schnauben steckte Michelle ihren Kopf wieder unter die Motorhaube.

»Kennen Sie sich damit aus?«, fragte er, und sie wäre eher geplatzt, als zuzugeben, dass sie keine Ahnung hatte.

»Natürlich, das ist ja wohl keine Kunst«, behauptete sie. »Sie können also ruhig weiterfahren, die Jungfrau kommt alleine klar.«

Da er sich jedoch nicht rührte, sondern sie lediglich amüsiert beobachtete, blieb ihr nichts anderes übrig, als mit betont selbstbewusstem Gesicht noch einmal ihr Glück zu versuchen. Erneut wackelte sie an ein paar Kabeln herum, stieg dann ein und drehte den Zündschlüssel um.

Bitte Hulk, flehte sie im Stillen, bitte lass mich jetzt nicht im Stich.

Ob es wirklich an ihrem stummen Stoßgebet gelegen hatte, wusste sie nicht, aber Trents entgeisterter Blick, als der Motor keuchend ansprang, verdrängte die Frage danach.

Bemüht, ihre eigene Überraschung so gut wie möglich zu verbergen, richtete sie sich auf, schenkte Trent ein überlegenes Lächeln und schloss triumphierend die Motorhaube.

»Einen schönen Tag noch, Mr. Forsythe«, nickte sie ihm hoheitsvoll zu.

»Oh danke, den werde ich bestimmt haben«, grinste er, »bis später.«

Bevor sie sich über diese Unheil verkündende Verabschiedung Gedanken machen konnte, ging er mit geschmeidigen Schritten auf seinen Wagen zu, und unwillkürlich lief ihr ein Schauer über den Rücken.

Tiger, dachte sie missmutig, als sie sich hinters Steuer setzte, eindeutig Tiger.

Sie wartete darauf, dass er an ihr vorbeifahren würde, er machte jedoch keinerlei Anstalten, also legte sie schließlich den Gang ein und fuhr los. Während der Fahrt schaute sie ab und zu in den Rückspiegel und sah, dass ihr der rote Sportwagen in gebührendem Abstand folgte.

»Warum überholt er denn nicht?«, murmelte sie gereizt. »Seine Angeberkarre ist doch viel schneller.«

Aber Trent Forsythe schien es nicht eilig zu haben, gemächlich rollte er hinter ihr her, und irgendwann beschloss sie, ihn zu ignorieren. Konzentriert heftete sie ihren Blick auf die Fahrbahn, bog nach einer Weile vom Highway ab und folgte der schmalen Straße, die in Richtung der Berge führte. Als Elkpoint schließlich vor ihr auftauchte, hielt sie unwillkürlich die Luft an, so malerisch und idyllisch wirkte der kleine Ort.

Bereits von Weitem war ein weißer Kirchturm zu sehen, der das Städtchen überragte, im Hintergrund leuchteten die schneebedeckten Rocky Mountains. Langsam fuhr Michelle die Hauptstraße entlang, bewunderte die verschiedenfarbigen Fassaden der Häuser und die üppige Weihnachtsdekoration. Sämtliche Bäume waren mit Lichterketten umwickelt, in regelmäßigen Abständen überspannten mit roten Schleifen versehene Girlanden aus Tannenzweigen die Straße. Die Schaufenster der unzähligen, kleinen Geschäfte waren ebenfalls alle geschmückt, überall auf den Gehwegen standen Rentiere, Schneemänner und Santa-Claus-Figuren.

In der Ortsmitte, genau vor dem Rathaus, prangte neben einem Brunnen ein riesengroßer, prächtig geschmückter Weihnachtsbaum. Ein paar Meter davon entfernt stellte Michelle ihren Wagen ab, und der Camaro, den sie völlig vergessen hatte, manövrierte sich direkt in die Parklücke neben der ihren. Im selben Moment wurde ihr bewusst, dass Trent Forsythe vermutlich aus dem gleichen Grund hier war wie sie, und kampfeslustig stieg sie aus.

»Muss ja wirklich eine sehr wichtige Sache sein, wenn der Herr Staranwalt sich persönlich herbemüht«, sagte sie spöttisch, während sie nebeneinander auf die Eingangstür zusteuerten. »Sollten Sie nicht eigentlich vor Gericht sein?«

»Keine Sorge, ich habe alles im Griff«, erwiderte er lächelnd, »außerdem gibt es Dinge, um die ein Mann sich besser selbst kümmern sollte.«

Der Blick, den er ihr bei diesen Worten zuwarf, war herausfordernd und gleichzeitig ein wenig lasziv. Erneut rieselte ihr ein Schauer über den Rücken, und sie schnaubte genervt. Wenn er glaubte, dass sie sich von diesem Playboygehabe beeindrucken ließ, hatte er sich geirrt. Diese Schlafzimmerblicknummer funktionierte vielleicht bei den blonden Barbies, die er sonst um sich hatte, aber nicht bei ihr.

Entschlossen durchquerte sie die Halle und folgte der Beschilderung, bis sie das Vorzimmer des Bürgermeisters erreicht hatte. Dort baute sie sich vor dem Schreibtisch einer älteren Dame auf, die laut dem Schild auf der leicht verkratzten Holzoberfläche Ethel Harris hieß.

»Michelle Sanders, ich hätte gerne Mr. Beacham gesprochen«, erklärte sie selbstbewusst.

Die Empfangsdame schaute sie über den Rand ihrer Lesebrille kritisch an. »Haben Sie einen Termin, Kindchen?«

Oh Mist. Termin. Nein, natürlich hatte sie keinen Termin. Vielleicht hätte sie vorher anrufen sollen, doch das hatte sie über der ganzen Aufregung völlig vergessen. Am liebsten hätte sie sich mit der Hand vor den Kopf geschlagen, da Trent Forsythe jedoch neben ihr stand und sie mit amüsiert nach oben gezogenen Augenbrauen beobachtete, verkniff sie sich das sicherheitshalber.

»Äh … ich glaube nicht.«

Bedauernd zuckte die grauhaarige Ethel mit den Schultern. »Dann tut es mir sehr leid.«

Toll, das ist ganz toll, dachte Michelle verärgert, peinlicher geht‘s ja wohl nicht. Ich wette, er hat einen Termin.

Resigniert trat sie zur Seite, um ihrem Kontrahenten Platz zu machen, und dieser setzte sofort ein charmantes Lächeln auf.

»Hallo Mrs. Harris«, säuselte er mit seiner tiefen Stimme, »Trent Forsythe. Ich möchte zu Mr. Beacham.«

»Miss Harris«, korrigierte die ältere Dame ihn eifrig. »Haben Sie einen Termin, Mr. Forsythe?«

»Ja, für zwölf Uhr.«

Michelle schnaubte unhörbar. Da. Sie hatte es doch gewusst. Frustriert wandte sie sich zum Gehen.

Ethel blätterte in einem kleinen Tischkalender. »Ach ja, da steht es ja«, nickte sie beflissen, um dann entschuldigend hinzuzufügen: »Es tut mir sehr leid Mr. Forsythe, aber Mr. Beacham musste kurzfristig in einer dringenden Angelegenheit weg.«

Ein himmlischer Posaunenchor setzte in Michelles Kopf ein und spielte ein schadenfrohes Ha-Ha-Ha. Sie drehte sich um und schaute Trent Forsythe verstohlen von der Seite an, sein enttäuschtes Gesicht wollte sie sich doch nur ungern entgehen lassen.

»Wann wird er zurück sein?«, fragte dieser jedoch völlig gelassen.

»Oh, das ist schwer zu sagen. Vielleicht um drei Uhr.«

»Gut, also werde ich nachher noch einmal vorbeikommen.«

Er zwinkerte der mädchenhaft erröteten Ethel zu, bedachte Michelle mit einem funkelnden Blick aus seinen blauen Augen und verließ das Büro.

Verärgert presste sie die Lippen zusammen. Es konnte doch nicht sein, dass sie die lange Fahrzeit von vier Stunden auf sich genommen hatte, um jetzt unverrichteter Dinge wieder zurückzufahren.

Rasch beugte sie sich zu der älteren Frau hinunter und lächelte sie bittend an. »Könnte ich wohl für heute Nachmittag ebenfalls einen Termin bekommen?«, bat sie hoffnungsvoll.

»Aber sicher Kindchen, kommen Sie am besten auch einfach um drei Uhr hierher, und dann sehe ich, was ich für Sie tun kann.«

Sie nickte. »Ja, das mache ich. Vielen Dank.«

Beschwingt schwebte sie aus dem Rathaus, und als sie auf die Straße trat, war der Camaro verschwunden.

Einen Moment blieb sie stehen, und überlegte, wie sie sich nun die Zeit bis zum Nachmittag vertreiben sollte. Eigentlich hatte sie Lust auf einen kleinen Bummel durch den Ort, die Schaufenster waren äußerst verlockend. Doch für Einkäufe reichte ihr schmales Budget nicht aus und außerdem war sie ja schließlich beruflich hier. Also stieg sie kurz entschlossen in ihren Wagen, studierte die Unterlagen, unter denen sich auch ein Lageplan der Umgebung befand, und machte sich auf den Weg zum Deep Lake.

Der See lag ein ganzes Stück außerhalb des Ortes, eingebettet in ein malerisches Tal, umrahmt von hohen Bergen. Michelle stellte Hulk am Ende des Zufahrtswegs ab und folgte dann einem Pfad, der zwischen den Bäumen hindurch zum Ufer führte. Tief atmete sie die klare, frische Dezemberluft ein. Es roch nach Schnee, feuchter Erde und Kiefernnadeln. Sie ließ ihren Blick über die glitzernde Wasseroberfläche schweifen, und konnte verstehen, warum Berta Riker und ihre Umweltschützer so versessen darauf waren, den Bau eines Hotels hier zu verhindern. Die Umgebung war traumhaft, und es wäre wirklich schade, diese wundervolle Landschaft von Beton und Stahl verschandeln zu lassen.