Immer – Die McDermotts Band 4

Ebook & Taschenbuch

Jordan McDermott genießt sein ruhiges Junggesellenleben. Mit der Ruhe ist es jedoch schnell vorbei, als Melodys quirlige Schwester Kerry plötzlich wieder auftaucht und überraschenderweise beschließt, in Stillwell zu bleiben. Auf das Flehen seines Bruders Adrian hin erklärt Jordan sich widerstrebend bereit, Kerry bei sich wohnen zu lassen und ein Auge auf sie zu haben – doch damit halten nicht nur Chaos und Aufregung Einzug, sondern auch jede Menge Gefühle …

Kapitel 1

Wie immer seit der Neueröffnung herrschte auch an diesem Freitagabend in der Cactus-Bar in dem kleinen 700-Seelen-Dorf Stillwell Hochbetrieb. Es war noch nicht lange her, dass der alte Besitzer die vormals rustikale Westernkneipe verkauft hatte. Die neue Eigentümerin, Lauren McDermott, hatte mit der Hilfe ihrer Familie das Lokal in eine gemütliche Mischung aus Bar und Restaurant verwandelt, und ihre exzellenten Kochkünste hatten sich sehr schnell herumgesprochen. Aus diesem Grund strömten die Besucher nicht nur aus Stillwell selbst, sondern auch aus den umliegenden Ortschaften und dem nahe gelegenen Crystal City herbei, und in der Bar war es immer voll.

Heute Abend jedoch ging es noch etwas turbulenter und ausgelassener zu als sonst, denn es wurde Junggesellenabschied gefeiert. Am nächsten Mittag fand Laurens Hochzeit mit Ryan Davis statt, und neben den Familien der beiden hatten sich auch allerlei Freunde und Bekannte eingefunden, die für eine fröhliche Stimmung sorgten.

»Herrje, das ist das erste Mal, dass ich eine Bachelor-Party erlebe, auf der Frauen anwesend sind«, scherzte Callan McDermott, einer von Laurens älteren Brüdern, gerade. Er warf einen kurzen Blick zu dem Tisch auf der gegenüberliegenden Seite des Schankraums, an welchem die weiblichen Familienmitglieder sich versammelt hatten, und fügte verschwörerisch hinzu: »Außer der Stripperin natürlich.«

Ryan grinste seinen künftigen Schwager mitfühlend an. »Ich fürchte, darauf wirst du heute Abend verzichten müssen, ich glaube nicht, dass unsere besseren Hälften davon besonders angetan wären.«

»Schade.« Enttäuscht verzog Callan das Gesicht, und Adrian, der Älteste der vier McDermott-Geschwister, boxte ihm freundschaftlich auf den Arm.

»Lass das bloß nicht Joyce hören.«

»Keine Angst«, Callan lächelte, »sie weiß, dass ich keine Dummheiten mehr mache, seit wir verheiratet sind. Aber zu einem vernünftigen Junggesellenabschied gehört doch eine Stripperin nun mal dazu.«

»Ja, normalerweise schon«, stimmte Ryan zu. »Da Lauren jetzt jedoch die Besitzerin der Bar ist, konnten wir die Party ja schlecht alleine steigen lassen – wir werden uns wohl mit unseren eigenen Frauen begnügen müssen.«

»Welch schreckliches Schicksal«, spottete Adrian gutmütig, »also ich für meinen Teil bin mit Melody vollauf zufrieden.«

Er schaute zu seiner Frau hinüber, die sich gerade mit Lauren unterhielt. Sie saßen mit Joyce, deren Großmutter Rose Porter und sowie Roses Schwester Millie Campbell zusammen und diskutierten eifrig. Obwohl Melody noch etwas Zeit bis zur Geburt ihrer Zwillinge hatte, war ihr Bauch fast genauso rund wie der von Joyce, die kurz vor der Niederkunft stand.

»Aber es kann nicht sein, dass ihr keine Zeit für eine Hochzeitsreise findet«, erklärte Melody ihrer künftigen Schwägerin Lauren jetzt mit geröteten Wangen. »Es muss doch irgendeine Möglichkeit geben – sobald euer Baby erst einmal da ist, werdet ihr gar keine Gelegenheit mehr dazu haben.«

»Was soll ich denn machen?«, seufzte Lauren. »Ihr habt ja selbst gesehen, was hier seit der Neueröffnung jeden Abend los ist. Ich bin schon froh, dass Jordan und ich das einigermaßen im Griff haben. Wenn Ryan mich nicht zusätzlich noch unterstützen würde, wäre der Ansturm kaum zu bewältigen. Natürlich freue ich mich über den großen Erfolg, aber ich kann hier unmöglich weg.«

Rose Porter, inoffizielles Oberhaupt der Familie McDermott, schüttelte bedächtig den Kopf. »Melody hat recht, ihr solltet nicht auf eure Flitterwochen verzichten, schließlich ist das doch das Schönste an einer Hochzeit. Wie wäre es denn, wenn ich dich hier in der Bar vertreten würde?«

»Du?«, entfuhr es Lauren überrascht.

»Ja, warum nicht?«, nickte Rose. »Natürlich kann ich nicht so ausgezeichnet kochen wie du, aber für die übliche, texanische Hausmannskost sollte es ausreichen, und Millie könnte mich in der Küche unterstützen.«

Ihre Schwester Millie stimmte sofort freudestrahlend zu. »Sicher, das mache ich gerne«, betonte sie eifrig.

»Das ist gar keine schlechte Idee«, fiel Joyce jetzt mit ein. »So wie ich Granny kenne, hätte sie garantiert alles im Griff.«

»Worauf du dich verlassen kannst«, schmunzelte Rose.

Nachdenklich strich Lauren sich eine Strähne ihres blonden Haars hinters Ohr. »Ich weiß nicht«, murmelte sie unentschlossen, »da ist ja auch noch Timmy. Wir können ihn nicht mitnehmen, er hat Schule.«

»Das ist doch gar kein Problem, er kann gerne so lange bei uns bleiben – Adrian hat bestimmt nichts dagegen«, beschwichtigte Melody sie sofort und gab ihr einen aufmunternden Stups mit dem Ellenbogen. »Na los, gib dir einen Ruck und sag Ja«, drängte sie, »du wirst es sonst sicher irgendwann bereuen.«

Lauren zögerte noch einen Augenblick, dann nickte sie schließlich. »Gut, einverstanden.«

»Na also«, lächelte Rose zufrieden. »Und du musst dir wirklich keine Sorgen machen, wir werden das Kind schon schaukeln.«

»Das weiß ich«, sagte Lauren dankbar. »Wenn ihr die nächste Woche ein bisschen Zeit habt, könnte ich euch alles zeigen. Und ich werde mich zusätzlich nach einer Aushilfe umsehen, die Jordan beim Bedienen der Gäste hilft, das hatte ich sowieso vor. Er kann nicht gleichzeitig …«

Weiter kam sie nicht, denn in diesem Moment setzte laute Musik ein, und überrascht schauten alle zu Jordan McDermott, der mit breitem Grinsen eine überdimensionale Kiste in die Mitte des Raumes schob.

Sekunden später öffnete sich der Deckel, eine Frau im Cowgirl-Outfit und ein Mann in Polizeiuniform sprangen heraus. Das Cowgirl steuerte zielstrebig auf den Tisch zu, an welchem Ryan, Callan und Adrian saßen, während der Tänzer sich vor Lauren und den anderen Frauen aufbaute.

Unter Gelächter, Gejohle und allgemeinen Anfeuerungsrufen begannen beide zu strippen, und als Lauren das amüsierte Gesicht ihres Bruders Jordan sah, schüttelte sie seufzend den Kopf.

»Ich bin mir plötzlich nicht mehr so sicher, ob es eine gute Idee ist, euch hier alleine zu lassen.«

Rose betrachtete den jüngsten der drei McDermott-Brüder mit einem mütterlichen Lächeln und legte Lauren beruhigend die Hand auf den Arm. »Mach dir keine Gedanken«, schmunzelte sie, »ich werde mich schon um Jordan kümmern.«

»Es war ein netter Junggesellenabschied«, seufzte Melody zufrieden, als sie und Adrian gegen drei Uhr in der Früh auf dem Heimweg waren.

»Das stimmt«, nickte Adrian, und fügte nach einem kurzen Seitenblick auf seine Frau schmunzelnd hinzu: »Ich hoffe, das hat nicht nur an dem Stripper gelegen.«

Melody lachte. »Du wirst doch nicht etwa eifersüchtig sein, Liebling? Immerhin hattet ihr Männer ja auch euren Spaß.«

»Das ist …«, setzte Adrian an, aber weiter kam er nicht, denn in diesem Moment trafen sie auf der Ranch ein, und der Lichtkegel der Scheinwerfer erfasste eine Gestalt, die zusammengekauert vor der Eingangstür saß. »Wer ist das denn?«, entfuhr es ihm verblüfft.

Melody kniff die Augen zusammen, schaute etwas genauer hin und stieß einen überraschten Schrei aus. »Himmel, das ist Kerry.«

Sie waren noch nicht richtig ausgestiegen, als die junge Frau vor der Tür sich aufrappelte und auf sie zukam.

»Wird ja auch langsam Zeit«, empfing sie die beiden vorwurfsvoll, »wo wart ihr bloß so lange?«

»Was machst du denn hier?«, fragte Melody und ignorierte Kerrys anklagenden Ton. »Ist etwas passiert?«

»Vielleicht sollten wir erst mal reingehen«, schlug Adrian vor.

Er schloss die Tür auf, schaltete das Licht in der Halle ein und schob Melody und Kerry ins Haus.

»Also, was ist los?«, wollte Melody wissen und schaute ihre jüngere Stiefschwester prüfend an.

Unbehaglich trat Kerry von einem Fuß auf den anderen. »Nichts Besonderes«, erklärte sie, und bemühte sich, ihrer Stimme einen harmlosen Klang zu geben.

»Jetzt komm schon, du tauchst doch nicht einfach so um drei Uhr morgens hier auf«, stellte Melody energisch fest. »Raus mit der Sprache – was hast du dieses Mal angestellt? Hast du wieder Geld geklaut?«

Es war noch nicht lange her, dass Kerry ihr 30.000 Dollar aus ihrer Tasche stibitzt und sich damit nach Mexico abgesetzt hatte. Auf der Jagd nach Kerry und dem Geld hatte Melody zwar Adrian kennengelernt, aber es hätte sie auch beinahe die Beziehung zu Adrian wieder gekostet. Aus diesem Grund hatte sie ihrer Schwester immer noch nicht ganz verziehen und sah bereits neue Probleme auf sich zukommen.

»Gut, dass du nur das Schlimmste von mir denkst«, brummelte Kerry ausweichend.

Adrian, der bisher schweigend zugehört hatte, mischte sich jetzt ein. »Es ist mitten in der Nacht – wie wäre es, wenn wir alle erst einmal schlafen gehen?«, schlug er vor. »Kerry übernachtet hier, und ihr könnt euch morgen in Ruhe unterhalten.«

»Gute Idee.« Kerry warf ihm ein dankbares Lächeln zu.

»Aber …«, wollte Melody widersprechen, doch Adrian legte ihr den Arm um die Schultern und strich sanft über ihren gerundeten Bauch.

»Keine Widerrede. Du musst dich schonen, also ab ins Bett.«

Er zog die widerstrebende Melody die Treppe hinauf, und oben angelangt zeigte er Kerry, die ihnen gefolgt war, das Gästezimmer und das Bad. Nachdem er ihr eine gute Nacht gewünscht hatte, schob er Melody ins Schlafzimmer und schloss die Tür hinter ihnen. Mit müden Bewegungen zog er sich aus und legte sich hin. Dann fiel sein Blick auf Melody, die reglos auf der Bettkante saß.

Er rutschte zu ihr und zog sie an sich. »Liebling, hör auf, dir Gedanken zu machen, und komm ins Bett«, sagte er liebevoll, während er ihre Bluse aufknöpfte. »Ich weiß, die Sache mit dem Geld war ziemlich unschön, doch immerhin ist das ja jetzt schon über ein halbes Jahr her. Außerdem glaube ich, dass Kerry so etwas nicht noch einmal machen würde.«

»So etwas vielleicht nicht«, murmelte Melody düster und kuschelte sich in seine Arme. »Aber garantiert hat sie irgendwelchen anderen Unsinn im Kopf. Ich bin mir sicher, dass sie nicht ohne Grund so plötzlich hier auftaucht, wer weiß, was sie dieses Mal ausbrütet.«

Kapitel 2

Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch tappte Kerry am nächsten Mittag die Treppe hinunter und wie erwartet fiel Melody auch sofort über sie her.

»Okay, ich möchte jetzt wissen, warum du hier bist«, forderte sie energisch.

»Kann ich wenigstens erst eine Tasse Kaffee bekommen?«, murmelte Kerry unbehaglich.

Schweigend goss Melody etwas von dem heißen Getränk in einen Becher und schob ihn über den Küchentisch.

»Ich glaube, ich lasse euch beide besser alleine«, schmunzelte Adrian, der ahnte, dass das Gespräch nicht unbedingt angenehm werden würde.

Er beugte sich zu seiner Frau herunter, gab ihr einen raschen Kuss auf die Wange und verschwand durch die Verbindungstür ins Wohnzimmer.

Auffordernd schaute Melody ihre Stiefschwester an. »Also, ich höre.«

»Es gibt keinen besonderen Grund«, erklärte Kerry achselzuckend und fügte dann einschränkend hinzu: »Zumindest nicht so, wie du denkst. Ich habe nichts angestellt und habe auch nicht vor etwas anzustellen. Ich … ich möchte gerne hier in Stillwell bleiben, das ist alles.«

So, jetzt war es heraus. Sie atmete erleichtert auf, strich sich eine Locke hinters Ohr und betrachtete erwartungsvoll Melodys Gesicht.

Wer die zwei Frauen nebeneinander sah, erkannte auf den ersten Blick, dass sie miteinander verwandt waren. Beide hatten die gleichen smaragdgrünen Augen, den gleichen fein geschwungenen Mund und wilde Locken. Lediglich in der Haarfarbe unterschieden sie sich, während Melodys lange Mähne goldblond war, schimmerte Kerrys etwas kürzerer Haarschopf bläulich-schwarz. Auch vom Charakter her hätten sie nicht verschiedener sein können. Beide waren temperamentvoll und offenherzig, doch Kerry verkörperte mehr den unbekümmerten Typ und nahm alles auf die leichte Schulter, die zwei Jahre ältere Melody hingegen war eher verantwortungsbewusst und vernünftig.

»Du willst hierbleiben?«, wiederholte Melody nun verblüfft.

Kerry nickte. »Ja.«

»Du? Hier? In Stillwell?« Melody war immer noch fassungslos. »Dir ist schon klar, dass es sich um ein kleines Kaff handelt und nicht um eine Großstadt, oder? Es gibt hier keine Discos, keine eleganten Cocktail-Bars und keine angesagten Schickimicki-Lokale. Das Einzige, was du hier finden wirst, sind Rinder, Pferde und Cowboys.«

Und reiche Männer, fügte Kerry in Gedanken hinzu, hielt es jedoch für klüger, das laut nicht auszusprechen.

Es gab natürlich einen Grund, weshalb sie hier war. Sie hatte vor, sich einen dieser wohlhabenden Ölmagnaten oder Rinderbarone zu angeln, aber das würde sie ihrer Schwester selbstverständlich nicht erzählen. Sie hatte die Nase voll von Kerlen, die sie immer nur ausnutzen wollten, es war an der Zeit, den Spieß herumzudrehen. Ihre beiden letzten Beziehungen hatten ihr die Augen geöffnet.

Zunächst war da José gewesen. Ihm zuliebe hatte sie damals die 30.000 Dollar genommen, war auf seine blumigen Reden von einer gemeinsamen Zukunft in Mexiko hereingefallen. Als sie herausgefunden hatte, dass er verheiratet war und fünf Kinder hatte, war es schon zu spät gewesen – das Geld hatte er bereits ausgegeben.

Dann kam Liam, der Sänger einer kleinen Band, die sie an einer Tankstelle in Monclova kennengelernt hatte. Er hatte von Heirat gesprochen und ihr ewige Liebe geschworen – und sie keine drei Monate danach an den Drummer weiterreichen wollen, weil er ein langbeiniges, magersüchtiges Groupie an Land gezogen hatte.

Nein, von solchen Typen hatte sie ein für alle Mal genug. Sie würde sich einen wohlhabenden Kerl suchen, der ihr jeden Wunsch von den Augen ablas, davon gab es hier in Texas sicher reichlich. Immerhin hatte Melody es ja auch geschafft, einen gut aussehenden, reichen Mann zu heiraten, warum sollte sie selbst da nicht ebenfalls Glück haben?

Allerdings hütete sie sich, dieses Vorhaben ihrer Schwester gegenüber zu erwähnen, ihr war klar, was diese dazu sagen würde.

»Ach, ich bin gar nicht mehr so versessen auf diese ganzen Sachen«, betonte sie daher gelassen. »Ich habe eingesehen, dass es im Leben wichtigere Dinge gibt. Außerdem wird es langsam Zeit, dass ich sesshaft werde, ich bin jetzt zweiundzwanzig und habe mich genug ausgetobt.«

Melody, die solche zahmen Töne von Kerry überhaupt nicht gewohnt war, warf ihr einen argwöhnischen Blick zu. »Und wie hast du dir das vorgestellt?«

»Naja, ich dachte, ich könnte für eine Weile hier bei euch …«

»Kommt gar nicht infrage«, unterbrach Melody sie sofort. »Abgesehen davon, dass ich dir keinen Millimeter traue, haben wir keinen Platz.«

»Jetzt komm schon, ihr habt doch oben das Gästezimmer. Ich werde mich auch ganz anständig benehmen, versprochen.«

»Nein.« Vehement schüttelte Melody den Kopf und deutete auf ihren gerundeten Bauch. »Vielleicht ist es deiner Aufmerksamkeit entgangen, aber wir bekommen Zwillinge. Das Gästezimmer wird in den nächsten Tagen renoviert und zum Kinderzimmer umfunktioniert, ebenso wie der zweite Raum oben, den ich im Moment als Atelier zum Malen benutze. Und selbst wenn das nicht der Fall wäre, ich will dich hier nicht haben, ich hatte genug Scherereien mit dir. Solltest du also wirklich vorhaben, in Stillwell zu bleiben, wirst du dir eine andere Unterkunft suchen müssen.«

»Und wovon soll ich das bezahlen?«, brummelte Kerry enttäuscht.

»Wie wäre es mit einem Job?«, schlug Melody mit leicht sarkastischem Unterton vor. Als sie Kerrys frustriertes Gesicht bemerkte, fügte sie seufzend hinzu: »Na dann – willkommen in Stillwell.«

»Meinst du nicht, du warst etwas zu streng mit ihr?«, fragte Adrian, als er und Melody eine knappe Stunde später auf dem Weg zur Porter-Ranch waren, wo die Hochzeit von Lauren und Ryan stattfand.

»Vielleicht«, murmelte Melody gedankenverloren. »Andererseits ist es wirklich Zeit, dass Kerry erwachsen wird und mit ihren Eskapaden aufhört, sie hat mich in den letzten Jahren genug Nerven gekostet. Falls sie es mit ihren guten Vorsätzen tatsächlich ernst meint, dann soll sie es beweisen, indem sie sich eine Arbeit und eine Wohnung sucht.«

»Es wäre doch kein Problem, wenn sie eine Weile bei uns wohnt«, erklärte Adrian. »Bis unsere Babys da sind, dauert es noch vier Monate, und anfangs könnten sie auch in einem Zimmer schlafen.«

Liebevoll streichelte Melody über seinen Arm. »Du bist viel zu weichherzig«, stellte sie fest.

Er dachte an den nächtlichen Autounfall, bei dem er Melody kennengelernt hatte und grinste. »Oh ja, das bin allerdings, sonst hätte ich dich damals nicht von der Straße aufgelesen und dich in mein Haus geholt. Immerhin hatte ich zu diesem Zeitpunkt keine Ahnung, wer du bist und was ich mir da einhandele.«

»Nun, du hast dir eine Ehefrau eingehandelt, die dich liebt und dir bald zwei Kinder schenken wird – ein schreckliches Schicksal«, zog Melody ihn auf. Dann wurde sie wieder ernst. »Wie auch immer, es ist besser, wenn Kerry sich eine eigene Bleibe sucht. Sie ist zwar meine Halbschwester, aber ich traue ihr nicht. Außerdem möchte ich, dass wir die Zeit bis zur Geburt unserer Zwillinge noch in ruhiger Zweisamkeit verbringen, und ich habe so das dumpfe Gefühl, dass das mit Kerry im Haus nicht möglich sein wird.«

Hinter dem Haupthaus der Porter-Ranch war alles für die Hochzeit hergerichtet. Obwohl Joyce jeden Tag mit der Niederkunft rechnete, hatte sie es sich nicht nehmen lassen, die Feier für ihre langjährige Freundin und Schwägerin Lauren auszurichten. Zusammen mit Rose und deren Schwester Millie, sowie der Unterstützung etlicher anderer freiwilliger Helfer, hatten sie alles für die Trauung vorbereitet. Ein blumengeschmückter Bogen war aufgestellt, davor standen mehrere Stuhlreihen. Neben der obligatorischen Hochzeitstorte gab es ein üppiges Buffet, für Getränke war ebenfalls gesorgt, und für den späteren Tanz war ein festlich dekoriertes Holzpodest aufgebaut.

Während Callan sich in den Arbeiterunterkünften um Ryan kümmerte, saß Joyce jetzt mit Lauren in ihrem Schlafzimmer und legte letzte Hand an deren Frisur und Brautkleid an.

»Du siehst wunderschön aus«, betonte sie, und zog die kleine Schleppe zurecht, die hinten an dem schlichten, weißen Kleid befestigt war. »Ryan wird dich nicht mehr aus den Augen lassen.«

Lauren lächelte. »Nach all den Jahren würde ich ihm das auch nicht raten.«

»Wenn ich mich recht erinnere, warst du nicht ganz unschuldig daran, dass es so lange gedauert hat«, tadelte Joyce sie mit gespielt vorwurfsvollem Ton. »Schließlich warst du diejenige, die ihm damals den Laufpass gegeben hat, obwohl du mit Timmy schwanger warst.«

»Wie du weißt, hatte ich meine Gründe«, murrte Lauren. »Hätte er nicht diese Leidenschaft fürs Rodeo gehabt, wäre das alles nicht passiert.«

Ihre Gedanken schweiften zurück zu den letzten zehn Jahren, in denen sie Timmy alleine großgezogen hatte, ohne dass er eine Ahnung davon gehabt hatte, wer sein Vater war. Als Ryan dann vor einer Weile plötzlich nach Stillwell zurückgekehrt war, hatte er schnell herausgefunden, dass Timmy sein Sohn war. Natürlich war die Situation zunächst äußerst schwierig gewesen, doch sowohl Lauren als auch Ryan hatten einander in all den Jahren nie vergessen können, und schließlich hatten sie wieder zueinandergefunden. Timmy hatte Ryan vom ersten Moment an angebetet, und Ryan vergötterte seinen Sohn.

Sanft strich Lauren über ihren noch flachen Bauch. Sie hatte Timmy, bald würde sie ein weiteres Kind haben und sie würde heute den Mann heiraten, den sie liebte – der Rest gehörte der Vergangenheit an.

»Lass uns nicht mehr davon reden«, sagte sie leise. »Ich bin froh, dass alles in Ordnung ist.«

Joyce umarmte sie. »Ich auch«, versicherte sie ihr aufrichtig, »ich wünsche euch, dass ihr glücklich werdet, ihr habt es verdient.«

Kapitel 3

Wenig später schritt Lauren am Arm ihres ältesten Bruders Adrian durch die Stuhlreihen nach vorne, wo Ryan bereits auf sie wartete. Seine Augen leuchteten auf, als er sie in ihrem Brautkleid sah, und gleichzeitig stellte Lauren fest, dass er in seinem dunklen Smoking umwerfend gut aussah. Callan stand neben ihm, er war sein langjähriger Freund und würde als sein Trauzeuge fungieren. Auf der anderen Seite hatte sich Joyce postiert, um die gleiche Rolle für Lauren zu übernehmen.

Adrian übergab Lauren an Ryan und zog sich dann auf einen Stuhl zwischen Melody und Rose zurück, die zusammen mit Millie, Timmy und Jordan vorne in der ersten Reihe saßen.

Die kleine Band, die Callan engagiert hatte, ließ den Hochzeitsmarsch ausklingen, und Lauren und Ryan wandten sich dem Friedensrichter zu.

»Verehrte Anwesende, wir haben uns heute hier versammelt …«, leitete der Mann die Zeremonie ein, und Millie flüsterte Rose zu: »Mal sehen, ob dieses Mal auch wieder etwas schiefgeht.«

Rose schmunzelte vergnügt in sich hinein. »Es würde mich wundern, wenn es nicht so wäre – schließlich ist es eine McDermott-Hochzeit.«

Melody, die das Getuschel der beiden mitbekommen hatte, musste sich ein Lachen verkneifen. Tatsächlich hatte sie bisher zwei Hochzeiten in der Familie miterlebt, die von Callan und Joyce, und ihre eigene mit Adrian, und nie war alles nach Plan verlaufen. Joyce hatte im entscheidenden Moment Nein gesagt, um Callan vor sämtlichen Gästen zu gestehen, dass sie schwanger war, und sie selbst war mit Adrian ein paar Minuten vor der Trauung nach Las Vegas durchgebrannt. Millies Bedenken waren also absolut gerechtfertigt, die Mitglieder der Familie McDermott waren einfach zu verrückt, sodass durchaus mit Überraschungen gerechnet werden musste.

»Willst du, Lauren McDermott den hier anwesenden Ryan Davis zu …«, fragte der Friedensrichter jetzt, und im gleichen Moment stieß Joyce ein entgeistertes »Ach du meine Güte« aus.

Sämtliche Köpfe ruckten zu ihr herum und folgten ihrem Blick zu ihren Füßen, um die sich eine kleine Pfütze gebildet hatte.

Wie erstarrt stand sie da und schaute an sich herunter, während alle ringsum ebenso regungslos und totenstill verharrten.

»Sprosse, du hast doch nicht etwa …?« Callan sprach den Satz nicht zu Ende, aber es war auch so klar, was er meinte.

»Natürlich nicht«, erklärte sie entrüstet, um dann unsicher hinzuzufügen: »McDermott, ich glaube, du solltest meine Tasche für die Klinik holen.«

In der gleichen Sekunde brach eine unbeschreibliche Hektik aus.

Callan riss entsetzt die Augen auf. »Oh mein Gott, das Baby kommt«, stieß er panisch hervor, »unser Baby kommt.«

Während er völlig aufgelöst ins Haus stürmte, sprangen Melody, Rose und Millie auf und umringten Joyce, zusammen mit Lauren, die der Freundin einen Arm um die Schultern legte.

»Hast du schon Wehen?«, fragte sie besorgt.

Joyce schüttelte den Kopf. »Nein. Aber es tut mir so leid, dass ich dir die Trauung ruiniert habe.«

»Mach dir deswegen keine Gedanken«, beruhigte Lauren sie schmunzelnd. »Es hätte mich doch sehr erstaunt, wenn alles glatt über die Bühne gegangen wäre. – Komm, wir bringen dich zum Auto.«

Die vier Frauen begleiteten Joyce um das Haus herum und beobachteten dann ungläubig, wie Callan mit einer kleinen Reisetasche in der Hand zur Haustür herausgestürzt kam. Er spurtete auf seinen Pick-up zu, warf die Tasche hinein, kletterte hinterher und fuhr Sekunden später mit Vollgas davon, eine dichte Staubwolke hinter sich lassend.

»Das glaube ich doch jetzt nicht«, murmelte Rose entgeistert.

Im gleichen Moment leuchtete das Rückfahrlicht auf, der Pick-up kam rückwärts auf sie zugeschossen, hielt vor ihnen an und Callan sprang heraus.

»Sprosse, Himmel noch mal, wo bleibst du denn?«

Er packte sie am Arm und schob sie zum Wagen, bugsierte sie dann auf den Beifahrersitz und legte ihr den Gurt an.

Die Frauen waren ihnen gefolgt, und während Callan ums Auto herumging und wieder einstieg, wünschten sie Joyce alles Gute.

»Wir drücken dir die Daumen, dass alles gut geht«, sagte Rose und umarmte ihre Enkelin noch einmal.

Joyce seufzte. »Danke«, erwiderte sie trocken, »aber ich glaube, wenn ich die Fahrt zur Klinik mit diesem Verrückten hier heil überstehe, wird die Entbindung ein Kinderspiel dagegen sein.«

Trotz der ganzen Aufregung ging die Trauung schließlich doch noch reibungslos vonstatten. Melody und Jordan sprangen kurzfristig als Trauzeugen ein, und eine knappe halbe Stunde später waren Ryan und Lauren Mr. und Mrs. McDermott-Davis. Sie hatten sich bewusst für einen Doppelnamen entschieden, da Timmy ja ebenfalls den Mädchennamen seiner Mutter trug, und es einige Formalitäten erfordert hätte, das zu ändern.

»Na dann willkommen in unserer verrückten Familie«, schmunzelte Jordan und klopfte Ryan brüderlich auf die Schulter.

»Keine Angst, ich werde dem Namen McDermott alle Ehre machen«, versprach Ryan grinsend.

Sie saßen zusammen mit den übrigen Familienmitgliedern an einem der Tische, die im Garten aufgestellt waren, tranken Champagner und ließen sich das Essen schmecken.

»Apropos Familie«, hakte Rose nun ein und warf Jordan einen durchdringenden Blick zu. »Du bist der Letzte der McDermotts, der noch nicht unter der Haube ist.«

»Allerdings, und das wird sich in absehbarer Zeit auch nicht ändern«, betonte Jordan. »Ich liebe mein Junggesellenleben. Frauen sind zwar ganz praktisch, wenn es ums Kochen, Putzen, Waschen und gewisse andere Dinge geht, doch das wiegt den Ärger, den man mit ihnen hat, nicht auf.«

»Hey, das habe ich jetzt aber nicht gehört«, mahnte Lauren und knuffte ihrem Bruder schmunzelnd in die Rippen. »Falls du weiterhin für mich arbeiten willst, solltest du dir diese Machoeinstellung schnell wieder abgewöhnen.«

»Naja, ewig werde ich sowieso nicht in der Bar bleiben«, gab Jordan zu. »Ich hatte ja eigentlich vor, mich mit einer IT-Beratungsfirma selbstständig zu machen. Nachdem ich mein Studium abgeschlossen und mich auf meiner Motorradtour noch einmal richtig ausgetobt habe, werde ich das nun endlich in Angriff nehmen.«

»Aber du wirst damit doch hoffentlich warten, bis wir von unserer Hochzeitsreise zurück sind?«, fragte Lauren bang. »Lass mich bloß nicht hängen und gib mir wenigstens die Gelegenheit, in Ruhe einen Ersatz für dich zu suchen.«

»Nein, keine Sorge«, beruhigte er sie, »du kannst dich auf mich verlassen.«

»Und was das andere Thema betrifft ...«, setzte Rose wieder an.

»Okay, ich geh mir mal einen Whiskey holen«, fiel Jordan ihr leicht genervt ins Wort und stand auf, »bevor ich mir das mit dem Bleiben doch noch mal überlege.«

Er verzog sich an die kleine Bar, die neben der Tanzfläche aufgebaut war, und war bald darauf in ein Gespräch mit Logan, einem von Callans Rancharbeitern, vertieft.

Nachdenklich schaute Melody Lauren an. »Da fällt mir gerade ein – hast du nicht gesagt, du wolltest sowieso eine weitere Bedienung für die Bar einstellen?«

»Ja«, Lauren nickte, »Jordan kann nicht gleichzeitig hinter der Theke stehen, die Getränke und noch zusätzlich das Essen im Nebenraum servieren, das ist zu viel für eine Person. Warum fragst du?«

»Naja, vielleicht ist jetzt nicht unbedingt der geeignete Zeitpunkt dafür«, begann Melody zögernd, ungeachtet Adrians mahnendem Blick, »aber ich wüsste da jemanden.«

»Im Ernst? Das ist ja super – wen denn?«

Melody räusperte sich. »Kerry.«

»Kerry?« Lauren runzelte die Stirn. »Ich kenne keine …« Im gleichen Augenblick dämmerte es ihr, und ungläubig riss sie die Augen auf. »Moment mal, du meinst doch nicht etwa diese Kerry? Deine Schwester?«

»Ja, genau von dieser Kerry spreche ich«, gab Melody etwas verlegen zu.

Natürlich hatte Adrians Familie damals die Geschichte mit den 30.000 Dollar mitbekommen, und Melody war klar, dass die McDermotts nicht unbedingt die beste Meinung von Kerry hatten. Da Melody jedoch bezweifelte, dass diese sich selbst um Arbeit bemühen würde, konnte ein Versuch, sie in der Bar unterzubringen, ja nichts schaden.

»Sie will hier in Stillwell bleiben und braucht einen Job«, erklärte Melody und fügte dann hastig hinzu: »Ich weiß, dass ihr keinen guten Eindruck von ihr habt, aber ich versichere dir, dass sie niemals irgendwo anders lange Finger machen würde – es war sozusagen eine Ausnahmesituation. Vielleicht kannst du es ja wenigstens mit ihr probieren, wenn es nicht klappt, feuerst du sie eben wieder.«

Lauren dachte an das quirlige, leicht flippig wirkende Temperamentsbündel, das sie vor einer Weile bei Adrian kennengelernt hatte. Sie hatten sich nur kurz gesehen, und obwohl Lauren über den Diebstahl des Geldes genauso entsetzt gewesen war wie ihr Bruder, hatte sie doch auch in gewissem Maße Verständnis für Kerry gehabt. Trotz allem war die junge Frau ihr sympathisch gewesen, und schließlich war sie Melodys Schwester.

»Also gut«, nickte sie zustimmend, nachdem sie einen Moment überlegt hatte, »ich werde ihr eine Chance geben. Sie hat Zeit sich zu bewähren, bis wir aus den Flitterwochen zurück sind. Rose wird ein Auge auf sie haben, dann kann sie keine Dummheiten machen.«

»Oh mein Gott, oh mein Gott – McDermott, ich bringe dich um«, stieß Joyce keuchend hervor.

Es ging auf Mitternacht zu und sie lag völlig fertig in einem Kreißsaal des Dimmit Regional Hospitals in Carrizo Springs. Bereits auf dem Weg zur Klinik hatten die Wehen eingesetzt, und sich im Laufe der letzten Stunden so verstärkt, dass sie glaubte, es kaum noch aushalten zu können.

»Komm Liebling, halt durch, du hast es gleich geschafft.«

Liebevoll wischte Callan ihr das schweißüberströmte Gesicht ab, da kam schon die nächste Wehe. Er half ihr, sich aufzurichten, und stützte ihren Oberkörper ab.

»Pressen«, rief die Hebamme, »pressen.«

»Oh Himmel, das zahle ich dir heim«, quetschte Joyce heraus und krallte ihre Finger in Callans Arm, »du wirst nie wieder Sex bekommen, das schwöre ich dir.«

Ein leichtes Grinsen zuckte um die Mundwinkel der Geburtshelferin. »Gleich – noch ein Mal – jetzt«, befahl sie.

Mit einem lauten Schrei und unter Aufbietung all ihrer Kräfte tat Joyce, was von ihr verlangt wurde, und Sekunden später erklang kräftiges Babygeschrei.

Erleichtert und erschöpft ließ sie sich zurücksinken.

»Es ist ein Junge, herzlichen Glückwunsch«, sagte die Hebamme, und im selben Moment hörte Joyce hinter sich einen dumpfen Aufprall.

Sie richtete sich ein Stück auf und drehte den Kopf. »Ach du liebe Güte«, entfuhr es ihr, »auch das noch.«

Während die Frau ihr das Baby auf den Bauch legte und mit einem Tuch zudeckte, kümmerte eine der Schwestern sich sofort um Callan, der ohnmächtig auf dem Boden lag. Es dauerte nicht lange, bis er wieder zu sich kam und sich aufrappelte.

»McDermott, du sollst dich hier nicht ausruhen«, schmunzelte Joyce, »du darfst gleich die Nabelschnur durchtrennen.«

»Ich glaube, das lasse ich lieber«, murmelte er und wurde erneut blass.

»Ist nicht so schlimm, komm her Liebling, und schau dir deinen Sohn an«, sagte Joyce zärtlich. »Er ist kräftig und kerngesund.«

Callan beugte sich zu ihr, legte seine Arme um sie und das Kind, und küsste sie liebevoll. »Ich danke dir«, flüsterte er ihr ins Ohr, »ich danke dir für dieses wundervolle Geschenk. Ich liebe dich mehr, als ich es dir jemals sagen kann.«

Kapitel 4

Unterdessen saß Kerry im Wohnzimmer von Adrians Ranch und hatte ihren Laptop auf dem Schoß. Ihr war klar, dass selbst in Texas die reichen Männer nicht einfach auf den Bäumen wuchsen, und schon gar nicht in einem Nest wie Stillwell. Also würde sie etwas tun müssen, um einen geeigneten Kandidaten zu finden, und so klickte sie sich durch die Webseiten einschlägiger Kontaktbörsen.

Dummerweise entsprach keiner der dort angebotenen Singles ihren Vorstellungen. Entweder waren die Kerle bereits scheintot und jenseits von Gut und Böse, oder die Fotos sahen so abschreckend aus, dass sie sich fragte, ob die Typen nicht eher für einen Job in der Geisterbahn inserieren sollten. Wenn dann mal einer dabei war, der vom Aussehen her infrage gekommen wäre, suchte dieser selbst eine ‚gut situierte‘ Frau, was bedeutete, dass derjenige arm war wie eine Kirchenmaus. Manche wollten auch eine ‚aufgeschlossene, experimentierfreudige und freiheitsliebende Partnerin‘, was im Klartext hieß, dass es sich entweder um einen Perversen handelte oder einen notorischen Fremdgeher, der neben ihr noch zehn andere Affären hätte.

Frustriert scrollte sie durch die Angebote der Singlebörsen, um schließlich enttäuscht festzustellen, dass nichts Passendes dabei war. Doch so schnell würde sie sich nicht ins Bockshorn jagen lassen, dann würde sie eben selbst eine Anzeige aufgeben. Sie wusste, dass sie nicht schlecht aussah, und würde sicher eine Menge Zuschriften bekommen, sodass sie sich unter allen Bewerbern die Besten heraussuchen konnte.

Entschlossen richtete sie sich bei einem Gratis-Anbieter eine Mailadresse ein, registrierte sich danach bei einigen der Kontaktbörsen und setzte anschließend den Text für ihre Annonce auf.

Attraktive, zierliche und gebildete Frau Anfang zwanzig wartet auf ihren Mr. Right. Du solltest groß, schlank und gepflegt sein. Wenn Du neben Intelligenz, Humor und Zuverlässigkeit auch noch einen gehobenen Lebensstandard zu bieten hast und großzügig bist, bist Du vielleicht der Richtige. Melde Dich bei mir, damit wir es gemeinsam herausfinden können. Bitte nur ernst gemeinte Antworten an ‚kerry.brigman@snailmail.com‘.

Sie klickte durch ihren Dateibrowser, förderte nach einer Weile ein halbwegs annehmbares Foto von sich zutage, und fügte dieses zusammen mit ihrem Text in das Formular der Kontaktbörse ein.

»Okay«, murmelte sie dann zufrieden, als sie ihr Werk begutachtete, »jetzt muss ich nur noch warten, bis ‚Mr. Rich‘ anbeißt.«

Die Nachricht von der Geburt des kleinen Daniel hatte sich in der Familie natürlich wie ein Lauffeuer herumgesprochen. Die McDermotts gaben sich am Sonntag in der Klinik die Klinke in die Hand, um das Baby zu sehen und Callan und Joyce zu gratulieren.

»Schön, dass alles gut gegangen ist«, sagte Melody und warf Adrian einen liebevollen Blick zu, »ich hoffe, wir überstehen das ebenfalls ohne Probleme.«

»Ach sicher«, nickte er, »wenn Callan das hingekriegt hat, werde ich es auch schaffen.«

Joyce grinste. »Solange du erst nach der Geburt ohnmächtig wirst, ist es okay.«

»Danke«, brummte Callan gekränkt und knuffte sie zärtlich auf den Arm. »Immerhin hast du mir mit Mord und lebenslangem Liebesentzug gedroht, da würde wohl der stärkste Gaul umkippen.«

»Na hör mal, du wärst beinahe ohne mich losgefahren und du hast mir die schlimmsten Schmerzen meines Lebens eingebrockt, da muss man ja Mordgelüste bekommen.«

Sie alberten eine Weile herum und Adrian und Melody bestaunten ausführlich den neuen Familienzuwachs.

Wenig später öffnete sich die Tür des Krankenzimmers und Lauren, Ryan und Timmy kamen herein. Es folgten einige Umarmungen, das Baby wurde bewundert und erneut schilderten Joyce und Callan die Entbindung.

Dann wollte Joyce von Lauren wissen: »Wann geht ihr denn jetzt auf Hochzeitsreise?«

»Am kommenden Freitag fliegen wir. Ich werde diese Woche noch dazu nutzen, Rose, Millie und Kerry einzuweisen, und beten, dass alles reibungslos läuft.«

»Das wird es schon, du brauchst dir keine Sorgen zu machen«, beruhigte Melody sie hastig, obwohl sie sich da gar nicht so sicher war, zumindest was Kerry anbelangte.

Lauren verzog das Gesicht zu einem schiefen Lächeln. »Dein Wort in Gottes Ohr.«

Am Montagabend stand Jordan wie gewohnt hinter der Theke, schenkte Getränke aus und polierte Gläser, während Lauren mit Rose und Millie in der Küche war und den beiden alles zeigte und erklärte.

Als eine junge, schwarzhaarige Frau die Bar betrat und sich suchend umschaute, hielt Jordan inne und musterte sie. Sie war schlank und dennoch gut gebaut, wie die üppigen Rundungen unter ihrer Bluse bewiesen. Eine hautenge Jeans schmiegte sich schmeichelnd um ihre Hüften, und als sie sich umdrehte, um sich umzusehen, stellte er fest, dass ihr Po ebenso wohlgerundet war.

Während er sie immer noch eingehend betrachtete, trat sie zögernd an die Bar. Süß, ging es ihm durch den Kopf, als ihn ein tiefer Blick aus smaragdgrünen Augen traf.

»Was möchten Sie trinken?«, fragte er mit einem charmanten Lächeln, und überlegte, ob er sie hier in Stillwell schon einmal gesehen hatte.

Nein, entschied er dann, er hätte sich sonst garantiert an sie erinnert.

»Oh danke, nichts«, lehnte sie ab. »Ich suche Lauren McDermott.«

»Sie ist in der Küche«, erklärte Jordan, »kann ich vielleicht etwas für Sie tun?«

Die Frau schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht. Mein Name ist Kerry Brigman und ich sollte mich bei Lauren melden, wegen des Aushilfsjobs hier in der Bar.«

»Oh.« Erstaunt riss Jordan die Augen auf.

Zum einen war er verwundert, denn Lauren hatte ihm gar nicht erzählt, dass sie bereits jemanden für den Job gefunden hatte. Zum anderen war er erfreut, dass seine neue Kollegin zumindest schon mal optisch sehr ansprechend war.

Er deutete auf die Küchentür hinter sich. »Na dann, immer rein in die gute Stube.«

Kerry nickte kurz und verschwand in der Küche, während Jordan ihr einen Moment nachdenklich hinterherschaute. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass der Name ihm bekannt vorkam, aber er hatte keine Ahnung woher. Egal, wenn Lauren diese attraktive Frau wirklich einstellte, würde der Job ihm sicher doppelt so viel Spaß machen wie bisher. Im Geiste sah er sich mit ihr in trauter Harmonie Gläser abspülen. Sie alberten dabei herum, spritzten sich gegenseitig nass und …

Im gleichen Moment tauchte Lauren im Schankraum auf, Kerry hatte sie im Schlepptau.

»Jordan, das ist Kerry, Melodys Schwester«, erklärte sie. »Sie wird hier in der Bar anfangen, und ich möchte, dass du sie einarbeitest.«

»Melodys … Schwester …«, wiederholte er entgeistert.

Daher kannte er also den Namen. Sofort wichen sämtliche männlichen Fantasien aus seinem Kopf und machten einem unangenehmen Gefühl der Ernüchterung Platz.

Melodys Schwester. Natürlich war er ebenso wie der Rest der McDermotts im Bilde über das, was Kerry sich geleistet hatte, und er war keineswegs begeistert davon, dass ausgerechnet sie jetzt hier mit ihm zusammenarbeiten sollte. Er hatte keine Lust, den Babysitter zu spielen und darauf zu achten, dass sie keine langen Finger machte.

»Muss das sein?«, brummte er, und der Charme, mit dem er Kerry noch kurz zuvor begrüßt hatte, war wie weggewischt.

Lauren warf ihm einen scharfen Blick zu. »Ja«, betonte sie, »und ich will keine dummen Kommentare von dir hören. Melody hat mich darum gebeten, und ich bin bereit, Kerry eine Chance zu geben.«

»Vielen Dank«, murmelte Kerry im Hintergrund, »ich werde mir Mühe geben.«

»Das kann ich mir vorstellen«, brummte Jordan zwar leise, aber dennoch unüberhörbar.

»Okay«, Lauren wandte sich an Kerry, »mein Bruder wird sich um dich kümmern und dir alles zeigen und erklären, was du wissen musst.«

Sie verschwand wieder in der Küche und Jordan blieb mit Kerry im Schankraum zurück.

»Hast du schon mal gekellnert?«, fragte er, und sein mürrischer Ton ließ keinen Zweifel daran, dass Kerry ihm alles andere als willkommen war.

»Nein, aber das kann ja nicht so schwer sein.«

»Schwerer als Geld klauen«, murmelte er vor sich hin, während er unter der Theke herumkramte.

Verärgert stemmte Kerry die Hände in die Hüften. »Hör mal zu, die Sache mit dem Geld ist lange her und ich habe keine Lust, mir das die ganze Zeit vorhalten zu lassen«, fuhr sie ihn an. »Außerdem glaube ich nicht, dass du das Recht hast, dich in meine Angelegenheiten einzumischen.«

»Zieh das an«, befahl er und warf ihr ein Stück Stoff zu.

Kerry hielt es hoch, erkannte eine Schürze und rümpfte die Nase. »Muss das sein?«

»Allerdings. Du brauchst etwas, wo du Block und Stift aufbewahren kannst.«

Mit einem leisen Seufzen band sie sich die Servierschürze um. »Und nun?«

»Und nun kannst du dich nützlich machen, und die beiden Tische da hinten abräumen und abwischen«, erklärte er und nickte mit dem Kopf in eine Ecke des Schankraums. »Aber ordentlich.«

Sie unterdrückte den Wunsch, ihm die Zunge herauszustrecken, und machte sich an die Arbeit.

Während er ein paar Biere zapfte, beobachtete Jordan sie, und überlegte, was er ihr als Nächstes auftragen sollte. Wäre es nach ihm gegangen, hätte Kerry den Job hier erst gar nicht bekommen, und er konnte nicht verstehen, warum Lauren sie eingestellt hatte. Auch wenn sie Melodys Schwester war - für ihn war sie eine Diebin, und er hatte nicht die geringste Lust, sie die ganze Zeit im Auge zu behalten, damit sie nicht in die Kasse langte. Irgendwie musste er versuchen, sie so schnell wie möglich wieder loszuwerden. Nach dem, was er mitbekommen hatte, war sie nicht der Typ, der sich gerne die Hände schmutzig machte. Wenn er sie ordentlich schuften ließ und ihr die Dreckarbeiten überließ, würde sie bestimmt sehr bald das Handtuch werfen und verschwinden.

Kapitel 5

»Und, wie klappt es mit Kerry?«, fragte Melody, als sie am Freitagnachmittag zusammen mit Adrian Timmy abholte.

»Oh, eigentlich recht gut«, erklärte Lauren zufrieden, während sie das Schloss an ihrem Koffer zuschnappen ließ. »Hat sie dir denn nichts erzählt?«

Melody schüttelte den Kopf. »Nein. Wenn sie zu Hause ist, schläft sie entweder, oder sie sitzt vor ihrem Laptop – ich frage mich nur, was sie da die ganze Zeit treibt.«

»Du solltest nicht immer gleich das Schlimmste annehmen«, beschwichtigte Adrian sie, »wahrscheinlich sucht sie nach einer Wohnung.«

»Das wäre zu schön um, wahr zu sein«, seufzte Melody. »Ich werde erst wieder Ruhe haben, nachdem sie ausgezogen ist. Allerdings glaube ich kaum, dass sie freiwillig gehen wird, wir werden sie wohl vor die Tür setzen müssen.«

»Lass ihr doch einen Moment Zeit«, bremste Lauren sie. »Sie stellt sich wirklich ganz gut an, und ich habe den Eindruck, dass ihr die Arbeit Spaß macht. Sollte das immer noch so sein, wenn wir aus den Flitterwochen zurückkommen, gebe ich ihr einen festen Vertrag, und dann hat sie auch etwas in der Hand, um sich eine Unterkunft zu suchen.«