Liebeslektionen in den Highlands

Ebook & Taschenbuch

Laurie Harpers Leserbriefrubrik in einem regionalen Frauenmagazin in Los Angeles erfreut sich großer Beliebtheit, ebenso wie die von ihr verfassten Beziehungsratgeber. Als sie jedoch mit ihrem neuesten Manuskript in Verzug gerät, verdonnert ihr Chef sie dazu, nach Schottland zu reisen und dort Morgan Blackmond, den Sohn einer entfernten Verwandten, von seinen Beziehungsängsten zu kurieren.
Der stolze Highlander hat keine Ahnung von Lauries Auftrag, findet jedoch sehr schnell den eigentlichen Zweck ihres Aufenthalts heraus. Aufgebracht über die unerwünschte Einmischung versucht er, die lästige ‘Psychotante’ wieder loszuwerden, doch dann entwickeln sich die Dinge völlig anders als geplant …

Liebeslektionen in den Highlands

1

Das durfte ja wohl nicht wahr sein. Wie erstarrt stand Laurie Harper da und blinzelte ungläubig zu dem dunkelblauen Buick Park Avenue hinüber, der auf der gegenüberliegenden Straßenseite geparkt hatte. Ein blonder Mann saß darin und starrte sie ungeniert an.

Das war doch Rick. Schon wieder. Und er hatte ein nagelneues Auto. Vermutlich mit ihrem Geld bezahlt. Dieser Mistkerl. Mit einem empörten »Na warte« stürmte sie über die Straße und riss die Fahrertür auf.

»Was zum Teufel tust du hier?«

Der Blonde lächelte beschwichtigend. »Laurie, wie schön, dich zu sehen.«

»Ich gebe dir zwei Minuten, um hier zu verschwinden, sonst rufe ich die Polizei.«

»Hör mir doch wenigstens …«

»Nein«, unterbrach sie ihn zornig, »spar dir den Atem. Seit Wochen verfolgst du mich, und ich bin es jetzt langsam leid. Es ist vorbei, wann kapierst du das endlich?«

»Bitte Laurie, lass uns in Ruhe darüber reden, ich kann dir alles erklären.«

Sie öffnete ihre Handtasche, kramte ihr Handy heraus und tippte demonstrativ die 911 ein. »Zwei Minuten«, wiederholte sie energisch, während sie ihren Zeigefinger drohend über dem grünen Rufsymbol schweben ließ, »ansonsten kannst du den Cops erzählen, was du hier suchst, und ihnen bei der Gelegenheit auch gleich berichten, was du mit meinem Geld gemacht hast.«

»Schon gut, schon gut, ich bin schon weg.«

Rick startete den Motor, sie trat einen Schritt zurück und schlug die Wagentür zu. Er warf ihr noch einen verletzten Blick zu, dann gab er Gas und Laurie sah ihm nach, bis er hinter der nächsten Straßenecke verschwunden war.

»Mistkerl«, murmelte sie erbost und steckte das Smartphone wieder ein, »unverschämter, dreister Mistkerl.«

Kopfschüttelnd überquerte sie die Straße, stieg in den knallroten Toyota Yaris, der in der Einfahrt ihres Grundstücks stand, und brauste davon.

***

Wie gewohnt herrschte in der Redaktion der LA Panorama hektische Betriebsamkeit. Laurie durchquerte das Großraumbüro, winkte einigen Kollegen grüßend zu und betrat nach kurzem Anklopfen den Glaskasten am hinteren Ende.

James Nolan, der leitende Redakteur, empfing sie mit einem knappen »Hi Laurie« und deutete auf einen der Stühle vor seinem mit Papierstapeln überladenen Schreibtisch. »Setz dich.«

Laurie nahm Platz und schaute ihn gespannt an.

Normalerweise arbeitete sie von zu Hause aus und kam nur zu den wöchentlichen Meetings in den Verlag. Das letzte Treffen war jedoch erst vorgestern gewesen, es musste also einen wichtigen Grund geben, weshalb er sie hierher bestellt hatte.

»Ich habe eine spezielle Aufgabe für dich«, begann er ohne Umschweife. »Du wirst nach Schottland fahren und dich dort um die Beziehungsängste eines Mannes kümmern.«

»Was?« Irritiert blinzelte Laurie ihn an. »Ich verstehe nicht …«

»Der Auftrag kommt von Angus Davidson persönlich. Es geht um den Sohn einer entfernten Cousine von ihm. Er ist Mitte dreißig und hat wohl ein Problem mit Frauen und Beziehungen, und du sollst dich der Sache annehmen.«

»Aber … ich bin doch keine Psychologin«, wandte Laurie entgeistert ein, »warum macht der Kerl nicht einfach eine Therapie?«

James zuckte mit den Achseln. »Keine Ahnung, das hat der Boss mir nicht gesagt. Jedenfalls hat er betont, wie wichtig ihm diese Angelegenheit ist. Außerdem soll ich dich daran erinnern, dass es Anfang Juni ist und noch kein einziges Kapitel deines nächsten Buchs vorliegt, für das du bereits einen saftigen Vorschuss erhalten hast.«

Betreten senkte Laurie den Kopf. Sie wusste, dass sie mit ihrem Manuskript in Verzug war. Der Abgabetermin war in drei Wochen, und sie hatte nicht einmal eine vernünftige Idee gehabt, geschweige denn, auch nur ein Wort geschrieben. Dies lag hauptsächlich daran, dass sie in letzter Zeit mit privaten Problemen zu kämpfen hatte und nicht in der Lage war, sich zu konzentrieren.

Seit fast acht Jahren arbeitete sie nun schon für die LA Panorama, einem beliebten Wochenmagazin, das vorwiegend auf weibliche Leser ausgerichtet war. Nach ihrem Highschoolabschluss hatte sie zunächst begonnen, Journalismus zu studieren, und nebenbei als Volontärin in der Redaktion der Panorama gearbeitet. Als die Journalistin, die damals für die Leserbriefe zuständig war, kurzfristig kündigte, hatte Laurie vorübergehend diesen Job übernommen. Sie hatte sich die Briefe herausgepickt, in denen Frauen über ihre Probleme mit Männern klagten, und sie mit so viel Humor und Feingefühl beantwortet, dass man ihr die Rubrik innerhalb kürzester Zeit fest zugeteilt hatte.

Schon während ihrer Schulzeit war sie der wandelnde Kummerkasten für sämtliche Mitschülerinnen gewesen, und auch an der Uni und im Freundeskreis hatte man sich mit Beziehungsproblemen häufig an sie gewandt. Woher sie die Gabe hatte, anderen den Weg zum Glück zu zeigen, wusste sie nicht, doch sie war erfolgreich damit.

Inzwischen erfreute sich die Rubrik ›Love with Laurie‹ steigender Beliebtheit, die drei Beziehungsratgeber, die sie verfasst hatte, fanden reißenden Absatz und vor einer Weile war sie sogar zu Gast in einer Talkshow gewesen.

Eigentlich war sie mit ihrem Leben ganz zufrieden, abgesehen von der Tatsache, dass ihr eigenes Liebesleben ein absolutes Fiasko war. Während sämtliche Freundinnen – größtenteils mit Lauries Zutun – bereits verheiratet waren oder zumindest glückliche Beziehungen führten, fristete sie immer noch ein einsames Singledasein.

Natürlich hatte es Männer gegeben, nicht viele, allerdings hatten sie ausgereicht, um festzustellen, dass die Ratschläge, die sie anderen gab, bei ihr selbst komplett versagten.

Tom war ihre erste, große Liebe gewesen. Sie hatten sich an der Highschool kennengelernt und waren eine ganze Zeit lang zusammen gewesen, bis Laurie von Arizona nach Los Angeles gezogen war, um ihr Studium zu beginnen. Eigentlich hatten sie geplant, dass Tom sie begleiten würde, aber dann hatte er es vorgezogen, in Prescott zu bleiben und eine Cheerleaderin der örtlichen Highschool zu heiraten.

Nach einer fast zweijährigen Phase von Liebeskummer folgte Andrew. Er war ein aufstrebender Hollywoodregisseur gewesen, und es hatte eine Weile gedauert, bis Laurie herausgefunden hatte, dass die Redensart von der sogenannten Besetzungscouch offenbar doch kein Märchen war, zumindest nicht für ihn.

Dann, vor etwa einem Jahr, hatte sie Rick kennengelernt. Ein ruhiger, solider Investmentberater, dem sie neben ihrem Herz auch ihr Geld anvertraut hatte. Drei Monate später war sie alleine, um rund fünfzigtausend Dollar ärmer und eine bittere Erfahrung reicher gewesen.

Diese Sache hing ihr immer noch nach, zum einen wegen des finanziellen Schadens, zum anderen, weil Rick nicht einsehen wollte, dass ihre Beziehung beendet war. Er schickte Blumen, sprach ihr endlose Nachrichten auf den Anrufbeantworter, bombardierte sie mit Mails und SMS und kreuzte – wie vorhin – ständig vor ihrem Haus auf. Sie hatte schon überlegt, eine einstweilige Verfügung gegen ihn zu erwirken, da er aber stets friedlich blieb, hatte sie bisher davon abgesehen, in der Hoffnung, dass er irgendwann aufgeben würde.

Dieser ganze Ärger mit Rick war auch der Grund dafür, dass sie mit dem Manuskript ihres neuen Buchs nicht einmal begonnen hatte. Ihr Kopf war wie leer gefegt, sie wusste nicht, worüber sie schreiben sollte, und hatte noch keinen einzigen vernünftigen Satz zustande gebracht. Sie fühlte sich selbst nicht gut damit, und die Tatsache, dass sie jetzt ausgerechnet vom Inhaber des Verlags so unsanft mit der Nase darauf gestoßen wurde, verbesserte ihre Stimmung nicht gerade.

»Also schön«, nickte sie resigniert, »ich habe zwar keine Ahnung, was von mir erwartet wird, aber wenn der Boss so nett darum bittet, kann ich ja wohl schlecht Nein sagen.«

James schob ein kleines Kärtchen über den Tisch. »Hier ist die Adresse und die Telefonnummer von Aileen Blackmond, du sollst dich mit ihr in Verbindung setzen, sie wird dich dann über alles informieren.« Er schenkte Laurie ein tröstliches Lächeln. »Sieh es von der positiven Seite: Du machst einige Wochen Gratisurlaub und außerdem ist Mrs. Blackmond bereit, dir fünfhundert Dollar pro Tag zuzüglich Spesen zu bezahlen, das ist schließlich auch nicht zu verachten. Und der Abgabetermin für dein Buch wird natürlich verschoben, das genaue Datum besprechen wir, sobald du wieder zurück bist.«

Unglücklich nagte Laurie an ihrer Unterlippe. »Und was ist, wenn ich das nicht hinkriege? Ich kenne diesen Mann doch gar nicht, und ich habe überhaupt keine Erfahrung mit so etwas.«

»Du schaffst das schon«, beruhigte James sie und fügte nach einer kleinen Pause hinzu: »Zumindest erwartet der Chef das, du solltest dir also Mühe geben.«

***

Kaum hatte Laurie ihr Haus am Rexford Drive betreten, kam ihre Freundin und Mitbewohnerin Jaqueline Durand, kurz Jacky genannt, auf sie zugestürmt.

Seit ihrer Kindheit waren sie unzertrennlich, und als die um ein Jahr ältere Jacky von Prescott in Arizona nach Los Angeles gezogen war, war es beschlossene Sache gewesen, dass Laurie ihr folgen würde, sobald sie ihren Highschoolabschluss in der Tasche hatte. Jacky war es auch, die Laurie das Volontariat bei der LA Panorama beschafft hatte. Sie arbeitete selbst beim AD Verlag, übersetzte Bücher ins Französische, vorwiegend von zu Hause aus.

Zusammen hatten die Freundinnen ein Stadthaus gemietet, nicht groß, aber es reichte aus, um sich nicht gegenseitig auf die Füße zu treten. Im Erdgeschoss gab es zwei kleinere Räume, die sie jeweils als Arbeitszimmer nutzten, ein gemeinsames Wohnzimmer sowie die Küche. In der oberen Etage befanden sich zwei Schlafzimmer und das Bad. Eine Terrasse mit angrenzendem Garten gehörte ebenfalls dazu, und sie fühlten sich hier beide pudelwohl.

»Erzähl«, forderte Jacky Laurie auf, während sie ihr in den Wohnraum folgte, »was wollten sie von dir?«

»Anscheinend soll ich irgendeinem wildfremden Typen Nachhilfeunterricht in Sachen Beziehung geben, zumindest war es das, was ich aus James’ spärlichen Infos herausgehört habe.«

Erstaunt riss Jacky die Augen auf. »Was? Du hast dich doch hoffentlich nicht darauf eingelassen?«

»Leider blieb mir nichts anderes übrig, denn der Auftrag kommt vom Big Boss persönlich.« Missmutig kickte Laurie ihre Schuhe von sich. »Das Ganze ist eine absolute Schnapsidee. Abgesehen davon, dass ich keine Psychotherapeutin bin, habe ich keinerlei Lust, einem verklemmten Muttersöhnchen Mitte dreißig beizubringen, wie er eine Frau anbaggert. Wenn er das in diesem Alter nicht selbst hinkriegt, ist sowieso Hopfen und Malz verloren.«

Jacky kicherte. »Stimmt. Und wer weiß, was mit diesem Kerl wirklich los ist. Vielleicht sieht er aus wie Frankensteins Monster, oder er ist so ein Perversling, der auf abartige Sachen steht.«

»Oder er ist schwul und seine Mutter hat keine Ahnung davon«, grinste Laurie.

»Er könnte auch einen Sprachfehler haben.« Jacky beugte sich zu ihrer Freundin, sah ihr tief in die Augen und zischelte: »Isss liebe disss, Baby, küsss misss.«

Sie brachen beide in schallendes Gelächter aus, glucksten und alberten eine Weile herum, bis sie vor lauter Lachen kaum noch Luft bekamen.

Jacky wischte sich die Tränen von den Wangen. »Himmel, du solltest dir wirklich überlegen, ob du nicht mal einen Ratgeber darüber schreiben willst: Der Umgang mit gestörten Männern.«

»Okay, genug jetzt, sonst platze ich«, schnaufte Laurie.

»Das war mein voller Ernst«, betonte Jacky, »so ein Buch würde bestimmt reißenden Absatz finden. Schließlich sind doch alle Männer über dreißig irgendwie ein bisschen gestört.« Kichernd erhob sie sich. »Na gut, ich werfe rasch die Wäsche in den Trockner, und dann gehen wir zu Pedro’s.«

Laurie kramte die Visitenkarte aus ihrer Tasche und seufzte. »Von mir aus. Ich rufe inzwischen Mrs. Blackmond an.«

Neugierig schaute Jacky der Freundin über die Schulter und stieß einen überraschten Laut aus. »Schottland«, sie überschlug sich fast, »oh mein Gott, warum hast du das nicht gleich gesagt? Da gibt es tolle Kerle.«

»Im Rock.«

»Weißt du, wie scharf die aussehen? Ich habe da neulich einen Film gesehen, ich glaube Conan oder so ähnlich – meine Güte, war der Typ heiß.«

»Conan war kein Schotte, du dumme Nuss, und abgesehen davon sind Männer in Frauenklamotten einfach lächerlich«, schnaubte Laurie mit verdrehten Augen.

»Ist doch egal«, Jackys Enthusiasmus war nicht zu dämpfen, »auf jeden Fall solltest du dich freuen, so eine Gelegenheit bekommst du bestimmt nicht so schnell wieder.«

»Jaja«, murmelte Laurie sarkastisch und griff nach dem Telefon, »ich kann mich kaum halten vor Begeisterung.«

2

»Hast du alles?«, fragte Jacky zum x-ten Mal, als sie sich drei Tage später am Los Angeles International Airport von Laurie verabschiedete.

»Ja«, bestätigte diese, »mach dir keine Sorgen.«

»Und du meldest dich, wenn du angekommen bist, okay?«

Laurie versprach es, umarmte die Freundin noch ein letztes Mal und begab sich dann durch die Absperrung zur Sicherheitskontrolle. Diese verlief problemlos, und so dauerte es nicht lange, bis sie sich mit etlichen anderen Passagieren durch die Fluggastbrücke in die wartende Maschine schob. Überraschenderweise war Mrs. Blackmond so großzügig gewesen, ihr einen Platz in der ersten Klasse zu buchen, und so machte sie es sich dort bequem. Nach der Zwischenlandung in Minneapolis, wo sie in einen Airbus A 330 umstieg, wurde sie von der Flugbegleiterin ebenfalls in die Businessclass geführt, wo sie eine Art kleines Abteil für sich alleine hatte. Nachdem sie den üblichen Imbiss genossen hatte, schaute sie eine Weile aus dem Fenster, wo sie in der Dunkelheit unter sich vereinzelt Lichtpunkte ausmachen konnte.

Eigentlich war die ganze Sache ja doch nicht so übel, überlegte sie. Fünfhundert Dollar pro Tag waren eine Menge Geld und vor allem wäre sie den Ärger mit Rick vorläufig los. Der Tapetenwechsel würde ihr guttun und dafür sorgen, dass sie den Kopf freibekam. Sie könnte mit ihrem Manuskript beginnen, und nebenbei dem Muttersöhnchen in puncto Liebe auf die Sprünge helfen – so schwierig konnte das ja nicht sein. Zufrieden klappte sie ihren Sitz nach hinten, machte es sich gemütlich und schlief.

Mittags um ein Uhr Mitteleuropäischer Zeit landete sie in Amsterdam, von dort aus ging es nach einem zweieinhalbstündigen Zwischenstopp mit einer Propellermaschine weiter nach Inverness. Verschwitzt und müde stieg Laurie am Abend um kurz vor fünf aus der Maschine, heilfroh, nach fast zwanzig Stunden Reisezeit endlich angekommen zu sein.

Nachdem sie die Passkontrolle hinter sich gebracht und ihr Gepäck geholt hatte, schaute sie sich suchend in der Flughafenhalle um. Mrs. Blackmond hatte ihr mitgeteilt, dass sie abgeholt werden würde, und so ließ sie ihren Blick schweifen, bis sie einen hochgewachsenen Mann entdeckte, der ein Schild mit ihrem Namen hochhielt. Erleichtert, dass ihre Auftraggeberin ihr Versprechen gehalten hatte, ging sie auf ihn zu.

»Hallo, ich bin Laurie Harper.«

»Iain MacKinnon, willkommen in Schottland, Miss Harper.«

Ohne langes Federlesen packte der blonde Hüne ihren Koffer und strebte mit großen Schritten zum Ausgang. Draußen verstaute er das Gepäck in einem grauen Land Rover, und kurz darauf saß Laurie neben ihm und schaute verträumt aus dem Fenster, während er den Wagen über die A832 steuerte, eine gut ausgebaute Landstraße, die sich sanft zwischen beeindruckend hohen Bergen hindurch schlängelte.

Die Landschaft war überwältigend. Grasgrüne Wiesen, auf denen Schafe oder Hochlandrinder grasten, wechselten sich mit dichten Wäldern ab. Flüsse, Bäche und kleine Seen zogen an ihr vorüber, überall blühten Heidekraut und Stechginster und auf den größtenteils schroffen und zerklüfteten Berghängen war sporadisch sogar Rotwild zu sehen.

Nach etwas mehr als einer Stunde führte die Straße an einem größeren Gewässer mit mehreren Inseln vorbei, und Iain, der bisher völlig schweigsam gewesen war, deutete darauf.

»Das ist der Loch Maree, der viertgrößte See Schottlands.«

»Wunderschön«, erwiderte Laurie beeindruckt, »ich fühle mich wie in einer ganz anderen Welt.«

Iain grinste. »Mrs. Blackmond sagte, Sie kommen aus Los Angeles – dort gibt es vermutlich nicht so viel Natur.«

»In der Stadt eher weniger«, bestätigte sie schmunzelnd, »bis auf ein paar Parks und Grünanlagen.«

Kurz darauf kam das Meer in Sicht. Iain verließ die A832 und folgte der Küstenstraße in Richtung Süden. Sie durchquerten einen malerischen Ort namens Wellyn, bogen erneut ab und fuhren eine schmale Straße entlang, die sich einen steilen, dicht bewachsenen Berg hinauf wand. Als sie oben angelangt waren, glaubte Laurie ihren Augen nicht zu trauen.

»Eine Burg«, rief sie verblüfft aus.

»Glenlark Castle«, erklärte Iain, »der Familiensitz der Blackmonds.«

***

Staunend starrte Laurie auf das vor ihr aufragende Bauwerk aus mächtigen, dunklen Quadern. Umgeben von einer dicken Mauer saß es auf dem Felsen, majestätisch und Furcht einflößend zugleich. Zwei Türme flankierten das Tor, das sie jetzt passierten.

Dahinter erwartete sie ein weiträumiger, gepflasterter Innenhof, der von mehreren Gebäuden umrahmt war. In der Mitte stand ein altertümlicher Brunnen mit einer kleinen Bank daneben, an der Stirnseite befand sich der Bergfried mit angrenzendem Palas. Ein Seitenflügel war zerfallen und bestand nur noch aus den Außenmauern, doch der Rest sah intakt und gut erhalten aus. Direkt vor dem Haupteingang brachte Iain den Landrover zum Stehen.

»Wir sind da.«

Er hatte kaum ausgesprochen, als sich auch schon die massive Eingangstür öffnete und eine ältere Dame herauskam. Sie trug eine hellgraue Baumwollbluse, dazu einen dunkelblauen Rock aus Tweed, ihr silbergraues Haar hatte sie im Nacken zu einem Knoten geschlungen. Aufgrund der unzähligen Fältchen in ihrem Gesicht schätzte Laurie ihr Alter auf Mitte bis Ende sechzig, ihre grünen Augen funkelten jedoch lebhaft und ließen sie wesentlich jünger wirken.

Freudestrahlend eilte sie auf den Wagen zu. »Meine liebe Miss Harper, ich bin Aileen Blackmond, herzlich willkommen auf Glenlark Castle.«

Immer noch leicht irritiert von der mittelalterlich anmutenden Szenerie stieg Laurie aus und machte eine allumfassende Handbewegung. »Ich hatte ja keine Ahnung, was mich hier erwartet.«

»Ach«, Mrs. Blackmond griff nach ihrem Arm, »das sieht pompöser aus, als es ist. Kommen Sie erst einmal herein.«

Bevor Laurie wusste, wie ihr geschah, stand sie in einer riesigen Halle, die sich über zwei Stockwerke erstreckte. Der Boden bestand aus dunklen, polierten Granitplatten, an den Wänden hingen alte Waffen und Schilde. Zu beiden Seiten zweigten mehrere Türen ab, im hinteren Bereich führte eine breite Treppe auf eine rundum laufende Galerie mit einer steinernen Balustrade.

Sie kam nicht dazu, sich weiter umzusehen, denn Aileen Blackmond redete sogleich wieder auf sie ein.

»Sie werden sicher hungrig sein, ich lasse Ihnen ein Abendessen richten.«

»Vielen Dank, aber das ist nicht nötig«, lehnte Laurie ab. »Ehrlich gesagt bin ich ziemlich müde, und alles, wonach ich mich sehne, ist eine heiße Dusche und ein bequemes Bett.«

Aileen lächelte verständnisvoll. »Natürlich Kindchen, ich zeige Ihnen Ihr Zimmer.«

Sie führte Laurie die Treppe hinauf und die Galerie entlang, gefolgt von Iain, der das Gepäck trug. Vor einer der Türen machte Aileen halt und öffnete sie. Zögernd betrat Laurie den Raum und hielt staunend inne, sie bekam kaum noch mit, wie Iain die Koffer abstellte und sich mit einem fröhlichen »Bis dann« verabschiedete.

Vor ihr lag ein Gemach, das einer Königin würdig gewesen wäre. Ein überdimensionales, massives Holzbett mit vier Pfosten, die einen samtenen Baldachin stützten, dominierte den Raum. Es war so hoch, dass ein Podest benötigt wurde, um überhaupt hineinzusteigen, und der Berg von Kissen und Decken darauf ließ vermuten, dass man tief darin versinken würde. An der gegenüberliegenden Wand befand sich ein wuchtiger Kamin, groß genug, um einen Ochsen darin zu grillen, darüber war ein Spiegel mit einem verschnörkelten Goldrahmen angebracht. Drei hohe Bogenfenster, durch die man einen fantastischen Ausblick auf den Atlantik hatte, bildeten einen Erker, in welchem ein zierlicher, runder Tisch und zwei bequeme Sessel standen. Ein antiker Kleiderschrank aus dunklem Holz sowie eine dazu passende Kommode und zwei Nachttische vervollständigten das Mobiliar. Massive Holzbalken trugen die weiß verputzte Decke, Seidentapeten, kostbar aussehende, gestickte Wandteppiche und ein edler Holzfußboden, der mit dicken Läufern ausgelegt war, rundeten das märchenhafte Bild ab.

»Ich hoffe, Sie sind zufrieden«, sagte Aileen, die Lauries entgeisterten Blick offenbar missdeutete, »es ist unser schönstes Zimmer – Bonnie Prince Charlie hat sogar schon hier gewohnt.«

»Oh ja, es ist«, Laurie suchte nach den richtigen Worten, »überwältigend.«

Aileen lächelte und öffnete eine Tür seitlich neben dem Bett. »Hier ist das Bad, Sie werden dort alles finden, was Sie benötigen. Falls Sie trotzdem noch einen Wunsch haben, sagen Sie mir einfach Bescheid.«

»Vielen Dank.«

»Dann lasse ich Sie jetzt erst einmal in Ruhe ankommen. Schlafen Sie sich aus, und morgen nach dem Frühstück, wenn Sie frisch und munter sind, besprechen wir alles Weitere.«

Laurie nickte stumm, und Sekunden später war sie allein.

*** 

Wie betäubt ließ Laurie sich auf einem der Sessel im Erker nieder und schaute aus dem Fenster. Fast direkt zu ihren Füßen lag das Meer, und die Sonne, die bereits niedrig am Horizont stand, zauberte goldene Lichtreflexe auf die Wellenkämme.

Nachdem sie sich von ihrer ersten Überraschung erholt hatte, erhob sie sich wieder, nahm ihr Handy aus der Tasche und stellte erfreut fest, dass sie trotz der Abgeschiedenheit glücklicherweise Empfang hatte. Mit einem genervten Seufzen löschte sie zwei SMS von Rick sowie eine weitere Nachricht ihres Mobilfunkanbieters, die sie über die Auslandstarife informierte, und tippte dann Jackys Nummer ein. Während sie darauf wartete, dass die Verbindung zustande kam, ging sie hinüber in das angrenzende Badezimmer.

Dort war alles zwar wesentlich moderner, aber nicht weniger beeindruckend. Der Boden war mit dunklem Marmor ausgelegt, die Wände mit Natursteinfliesen gekachelt. Links von der Tür befand sich, durch eine halbhohe Mauer abgetrennt, das WC. Rechts stand ein hölzerner Waschtisch mit zwei runden, aufgesetzten Waschbecken aus Kupfer und einem breiten Spiegel darüber, ein Regal direkt daneben beherbergte diverse Körperpflegeprodukte und Handtücher. Auf der gegenüberliegenden Seite gab es eine rundum verglaste, geräumige Duschkabine. Was Lauries Herz jedoch höher schlagen ließ, war die Badewanne. Wie im anderen Zimmer gab es auch hier einen Erker, und genau dort prangte eine ovale, kupferne Wanne auf Füßen, in der gut und gerne zwei Personen Platz hatten. Auf einem beheizbaren Halter hingen mehrere flauschige, dunkelblaue Badetücher, farblich passend zu den Vorlegern auf dem Boden.

Spontan entschied Laurie sich, statt der geplanten Dusche ein Bad zu nehmen. Sie drehte die Hähne auf und im gleichen Moment meldete Jacky sich.

»Endlich, ich habe mir schon Sorgen gemacht.«

»Du hast wohl die Zeitverschiebung vergessen«, erinnerte Laurie sie, während sie die Hand in den Wasserstrahl hielt, um die Temperatur zu überprüfen.

»Wie war dein Flug?«

»Angenehm, aber ich habe die meiste Zeit geschlafen.«

»Und dein Hotel? Ich hoffe, es ist nicht irgend so eine Absteige.«

Laurie musste lachen. »Nein, so könnte man es nicht nennen. Ich wohne in einer Burg.«

»Eine Burg? Du willst mich auf den Arm nehmen, oder?«

»Nein, ganz im Ernst, es ist eine richtige Burg, und sie gehört den Blackmonds. Jacky, ich schwöre dir, wenn du das hier sehen könntest, würdest du ausflippen. Es ist wie in einem Märchen. In meinem Zimmer hat sogar mal irgendein Prinz gewohnt.«

Einen Moment war es still am anderen Ende, offenbar hatte Jacky Mühe, diese Neuigkeiten zu verarbeiten.

»Wow«, brachte sie schließlich hervor, »dann hast du mit diesem Auftrag ja anscheinend das große Los gezogen. Apropos – hast du das Muttersöhnchen schon kennengelernt?« Sie kicherte und fügte hinzu: »Oder sollte ich ihn lieber den Froschkönig nennen?«

»Sei nicht so respektlos«, mahnte Laurie, konnte sich aber ein amüsiertes Glucksen nicht verkneifen. »Nein, habe ich noch nicht. Ich werde jetzt erst mal ein heißes Bad nehmen, und dabei den Blick auf einen wundervollen Sonnenuntergang über dem Meer genießen.«

Jacky seufzte. »Hach, das hört sich toll an. Dann wünsche ich dir einen schönen Aufenthalt, und ich drücke dir die Daumen, vielleicht entpuppt sich der Froschkönig ja doch noch als ein Traumprinz.«

»Das werden wir wohl niemals herausfinden«, grinste Laurie, »denn ich werde ihn ganz gewiss nicht küssen.«

3

Bedingt durch den Jetlag hatte Laurie lange geschlafen, und als sie erwachte, war es beinahe zehn Uhr. Erschrocken kletterte sie aus dem Bett und nahm eine rasche Dusche. Nachdem sie sich die Zähne geputzt hatte, zog sie sich an, band sich die Haare zu einem lockeren Zopf, schlüpfte in ihre Sneakers und machte sich auf die Suche nach Aileen. Unten in der Halle entdeckte sie eine ältere Frau, die den Boden wischte, und auf ihre diesbezügliche Nachfrage auf eine der Türen wies.

Als sie den Raum betrat, fand sie die Herrin des Hauses am Ende einer ausladenden, bereits gedeckten Tafel sitzend, eine Tasse Tee vor sich, die Tageszeitung in der Hand.

»Guten Morgen, Miss Harper.« Aileen faltete das Blatt zusammen und legte es beiseite. »Ich hoffe, Sie haben gut geschlafen.«

»Guten Morgen. Ja, vielen Dank, wohl etwas zu gut und zu lange, fürchte ich.«

Aileen schüttelte den Kopf. »Kein Problem, Sie sind hier nicht an feste Uhrzeiten gebunden.« Sie deutete auf den Stuhl ihr gegenüber. »Setzen Sie sich zu mir, dann können wir ein bisschen plaudern. Tee oder Kaffee?«

»Kaffee bitte, wenn es keine Umstände macht.«

Während Aileen in die Küche ging, um das Gewünschte zu holen, nahm Laurie Platz und schaute sich um.

Der lang gestreckte Tisch aus massivem dunklen Holz beherrschte das Esszimmer. Ein schmaler, mit Blüten bestickter Tischläufer reichte von einem Ende zum anderen, in der Mitte thronte ein Blumengesteck, rechts und links davon standen mit etwas Abstand zwei mehrarmige Kerzenleuchter aus schwerem Silber. Die etwa zwanzig Stühle, die um den Tisch herum verteilt waren, hatten gedrechselte Beine und hohe Rückenlehnen, die, ebenso wie die Sitzflächen, mit dickem Leder bezogen waren. An einer Seite des Raums befand sich eine längliche Anrichte sowie ein wuchtiger, alter Geschirrschrank, durch dessen Bleiglastüren man schemenhaft die Umrisse von Porzellangeschirr und Gläsern erkennen konnte. Der grobe Verputz an den Wänden war weiß gestrichen, überall hingen antik aussehende Gobelins und Gemälde, die Jagd- und Kampfszenen zeigten. Der Boden schien neu aufgearbeitet zu sein, das kostbare Echtholzparkett glänzte, als wäre es frisch poliert worden. Die Decke war mit mehreren Kronleuchtern versehen, die jetzt allerdings ausgeschaltet waren, denn die fünf großen, bodentiefen Fenster, durch die man auf einen blühenden Garten hinausschauen konnte, spendeten genügend Tageslicht.

»So meine Liebe, hier ist Ihr Kaffee«, schreckte Aileen sie aus ihren Betrachtungen.

Sie füllte Lauries Tasse und deutete auf die Platten und Schüsseln vor ihr, die mit knusprigem Speck, gebratenen Würstchen, Spiegeleiern, Toast, Orangenmarmelade, Butter, Porridge und Cornflakes bestückt waren. »Bedienen Sie sich, falls Sie etwas anderes möchten, lassen Sie es mich wissen.«

»Nein, das ist prima.«

Laurie nahm sich eine Scheibe Toast, strich Butter und Marmelade darauf und biss herzhaft hinein.

So lässt es sich aushalten, ging es ihr vergnügt durch den Kopf. Ein prächtiges Zimmer, ein Bett, aus dem man am liebsten nie wieder aufstehen würde, und ein opulentes Frühstück, das man nicht selbst zubereiten musste. Es war wie im Paradies, und mit Mrs. Blackmonds Sohn würde sie sicher auch irgendwie fertig werden.

»Worum geht es bei meinem Auftrag denn eigentlich genau?«, fragte sie laut.

»Also, zunächst einmal möchte ich Ihnen sagen, dass ich eine sehr große Bewunderin von Ihnen bin. Ich habe all Ihre Bücher gelesen, und mir extra die LA Panorama abonniert, um …« Aileen unterbrach sich. »Entschuldigung, ich wollte mich nicht wie ein verrückter Fan benehmen. Der Grund für meine Einladung ist mein Sohn Morgan. Er ist jetzt fünfunddreißig, und nach einem äußerst unerfreulichen Erlebnis vor ein paar Jahren weigert er sich standhaft, eine neue Beziehung einzugehen. Seine damalige Verlobte hat ihn kurz vor der Hochzeit sitzengelassen, und seitdem hatte er nie wieder eine Freundin. Ich glaube, dass er ernsthafte Probleme hat, und deswegen kam ich auf die Idee, Sie hierher zu holen.«

»Ihr Vertrauen ehrt mich sehr, doch ich fürchte, ich bin dafür nicht die Richtige«, sagte Laurie geradeheraus, »ich bin weder eine Psychologin noch eine Heiratsvermittlerin.«

Die Stirn der älteren Dame legte sich in sorgenvolle Falten. »Das ist mir bekannt«, erklärte sie, »ich erwarte ja auch nicht, dass Sie meinen Sohn verkuppeln. Es gibt da eine junge Frau, die schon seit einer ganzen Weile an ihm interessiert ist, und ich glaube, er ist von ihr ebenfalls angetan, nur schafft er es aus irgendeinem Grund nicht, den ersten Schritt zu tun. Er braucht eigentlich nur einen kleinen Schubs in die richtige Richtung, ein wenig Motivation, verstehen Sie?«

»Ich soll ihm also quasi Tipps geben, wie er vorzugehen hat, um seine Angebetete zu erobern«, fasste Laurie zusammen.

Aileen Blackmond nickte zustimmend. »Genau. Finden Sie heraus, wo seine Schwierigkeiten liegen, und beseitigen Sie diese.«

»Und wie haben Sie sich die Durchführung meiner Aufgabe vorgestellt?«

Aileen seufzte. »Morgan ist leider ein ziemlicher Dickschädel, und er würde sicher nicht begeistert sein, wenn er herausfindet, weshalb Sie hier sind. Daher halte ich es für das Beste, wir erzählen ihm, dass Sie an einer Reisereportage arbeiten. Ich werde ihn bitten, einige Ausflüge mit Ihnen zu unternehmen. So können Sie ein wenig unser schönes Schottland kennenlernen und gleichzeitig mit ihm ins Gespräch kommen, auf diese Weise wird er keinen Verdacht schöpfen.«

»Das heißt, ich muss sehr behutsam vorgehen, es könnte also eine Weile dauern, bis er sich öffnet«, gab Laurie zu bedenken.

»Das ist mir bewusst, aber Zeit und Geld spielen keine Rolle. Sie können so lange hierbleiben, wie es nötig ist – oder besser gesagt, ich werde Sie hier nicht weglassen, bis Sie Ihre Aufgabe erfüllt haben.«

»Und ich muss Sie nochmals darauf hinweisen, dass ich keine Psychotherapeutin bin, ich kann Ihnen also keinerlei Erfolgsgarantie geben.«

»Sie bekommen das hin, da bin ich mir ganz sicher. Angus war übrigens auch dieser Meinung, als ich ihm von meiner Idee erzählt habe.«

»Also gut«, Laurie nahm einen Schluck Kaffee, »ich werde mein Bestes tun.«

Aileen lächelte. »Davon bin ich überzeugt. Morgan ist noch geschäftlich in Edinburgh, aber er wird zum Mittagessen zurück sein, dann können wir das Programm für die nächsten Tage besprechen. – Und ich hätte nichts dagegen, wenn wir uns beim Vornamen nennen würden, falls Sie einverstanden sind.«

»Ja, gerne.«

»Gut, dann hoffe ich, dass Sie Ihren Aufenthalt hier genießen, und dass es Ihnen gelingen wird, Morgan von seinen Beziehungsängsten zu kurieren.«

Plötzlich wurde es Laurie doch ein wenig mulmig zumute. Sie hatte keine Ahnung, was Morgan Blackmond für ein Mensch war, wenn allerdings seine eigene Mutter ihn schon als Dickschädel bezeichnete, würde ihre Mission vielleicht doch schwieriger werden, als sie sich vorgestellt hatte. Aber jetzt war sie hier, und ein Rückzieher war unmöglich, also blieb ihr nichts anderes übrig, als Aileens kleine Scharade mitzuspielen und das Beste daraus zu machen.

»Ja«, nickte sie daher entschlossen, »das hoffe ich auch.«

***

Den restlichen Vormittag verbrachte Laurie damit, ihre Sachen auszupacken, und im Erker ihres Zimmers zu sitzen und die Aussicht zu genießen. Pünktlich um halb eins begab sie sich wieder nach unten ins Esszimmer.

Aileen erwartete sie bereits, und kaum hatte sie sich auf dem Platz ihr gegenüber niedergelassen, ging die Tür auf, und ein dunkelhaariger Mann kam herein.

»Morgan, schön, dass du rechtzeitig da bist«, begrüßte Aileen ihn. »Darf ich dir unseren Gast vorstellen, Miss Laurie Harper aus Los Angeles – Laurie, das ist mein Sohn Morgan.«

Morgan Blackmond kam auf sie zu, reichte ihr höflich die Hand und setzte sich dann zwischen die beiden Frauen an die Stirnseite.

»Ich wusste gar nicht, dass wir Besuch haben«, sagte er, während Aileen aus einer bereitstehenden Terrine einen dicken Eintopf auf die Teller füllte.

»Manchmal frage ich mich, wo du deinen Kopf hast. Laurie arbeitet bei Angus im Verlag, ich hatte dir doch erzählt, dass sie eine Weile bei uns wohnen wird.«

»Das hatte ich völlig vergessen.«

Sie wünschten sich gegenseitig einen guten Appetit und begannen, zu essen. Schweigend löffelte Laurie ihre Suppe, dabei musterte sie Morgan unauffällig von der Seite. Unwillkürlich fiel ihr das Gespräch mit Jacky wieder ein, und sie musste feststellen, dass die Befürchtungen der Freundin, er könnte ein Muttersöhnchen sein, wohl unbegründet waren. Im Gegenteil, er strahlte eine Dominanz und Männlichkeit aus, die sie erahnen ließ, dass ihr Auftrag keineswegs einfach werden würde.

Das dunkle Haar war relativ kurz geschnitten und wellte sich leicht, eine widerspenstige Locke hing ihm in die Stirn und gab ihm ein jungenhaftes Aussehen. Seine Augen waren von einem klaren Grün, bei genauerem Hinsehen entdeckte sie ein paar goldbraune Sprenkel darin. Die Nase war ein wenig zu groß, passte jedoch perfekt in sein kantiges Gesicht mit den hohen Wangenknochen. Um den Mund herum hatte er einen Zug, der auf Willensstärke und Durchsetzungsvermögen schließen ließ, die Lippen waren schmal, das wie gemeißelt wirkende Kinn umgeben von einem Dreitagebart.

Sein dunkelblaues Polohemd spannte sich über breiten Schultern, einer muskulösen Brust und ebenso gut trainierten Oberarmen, die Unterarme waren gebräunt und mit feinen, dunklen Härchen bewachsen. Die kräftigen Hände mit den langen, schlanken Fingern wirkten sensibel, die Fingernägel waren sauber und sahen gepflegt aus.

Alles in allem war Morgan Blackmond ein attraktiver Mann, und Laurie konnte sich gut vorstellen, dass es ihm nicht an weiblichen Bewunderern mangelte. Seine Probleme mussten also anderer Natur sein, und seiner selbstsicheren Ausstrahlung nach zu urteilen, würde es wohl nicht leicht werden, ihm diese zu entlocken.

Die Bestätigung dafür erhielt sie wenige Minuten später, als sie ihre Mahlzeit beendet hatten.

»Laurie schreibt an einem Reisebericht über Schottland«, erklärte Aileen wie beiläufig, »ich dachte, du könntest mit ihr vielleicht ein paar Ausflüge unternehmen und ihr die Gegend zeigen.«

»Eigentlich habe ich zu tun«, brummte Morgan ohne große Begeisterung.

»Dann wirst du eben mal einige Dinge an Iain delegieren, immerhin ist er dein Verwalter, und die Restaurierung des alten Flügels läuft dir nicht weg. Schließlich soll Laurie doch nicht denken, dass die viel gerühmte schottische Gastfreundschaft nur ein Gerücht ist, oder?«

Morgan presste die Lippen aufeinander. »Gut, wenn es unbedingt sein muss. Und was hattest du dir vorgestellt?«

»Ich überlasse es dir, was du ihr zeigen möchtest. Für heute wird es wohl ausreichen, wenn du sie ein bisschen in der Burg herumführst, damit sie sich mit allem vertraut machen kann.«

»Mit Vergnügen«, murmelte er sarkastisch. Er schob seinen Teller beiseite und wandte sich an Laurie. »Dann lassen Sie uns gleich beginnen, ich kann es kaum erwarten.«

… mich wieder loszuwerden, ergänzte Laurie in Gedanken, doch sie setzte ein höfliches Lächeln auf. »Ich auch nicht.«

4

Wenig später erkundete Laurie an Morgans Seite die Burg. Sie begannen auf der Galerie im oberen Stockwerk, an deren Innenwand zahlreiche, goldgerahmte Porträts hingen.

»Dies sind einige der früheren Mitglieder des Clan Blackmond«, erzählte Morgan. »Unsere Familiengeschichte reicht zurück bis ins dreizehnte Jahrhundert und ist wie die der meisten Clans mit viel Blutvergießen verbunden. Das wohl legendärste Gefecht, an dem meine Vorfahren teilgenommen haben, war die Schlacht von Culloden 1746. Ein Teil der Clans, darunter auch die Blackmonds, kämpfte auf der Seite der Jakobiten, die dem schottischen Thronprätendenten die Treue hielten, der andere Teil für die englischen Regierungstruppen. Es war ein heftiges Gemetzel, das selbst noch anhielt, nachdem die Engländer gewonnen hatten. Sämtliche Gefangenen und Verwundeten wurden exekutiert, ganze Dörfer wurden dem Erdboden gleichgemacht, Kinder abgeschlachtet und Frauen geschändet. Der damalige Chief des Clan Blackmond wurde verhaftet und in den Tower von London gebracht, wo er kurz darauf enthauptet wurde. Da die Anhänger der Stuarts immer noch verfolgt wurden, flüchteten nahezu alle Blackmonds nach Nordamerika, erst 1831 kehrte einer meiner Vorfahren heim und erhielt Glenlark Castle sowie das dazugehörige Land zurück.«

»Und Sie sind ein Lord?«

»Nein, ich bin das derzeitige Oberhaupt des Clan Blackmond und der Laird von Glenlark, diese Bezeichnung ist allerdings kein Adelstitel, sondern steht für einen Landbesitzer.«

Äußerlich gab Morgan sich distanziert, doch Laurie bemerkte deutlich den Stolz und die Leidenschaft in seiner Stimme. Sein Akzent war wesentlich ausgeprägter als der seiner Mutter, er rollte das R stärker, die Vokale klangen kehliger, die Konsonanten etwas härter, und obwohl sie teilweise Schwierigkeiten hatte, ihn genau zu verstehen, genoss sie es, ihm zuzuhören.

»Was ist da drüben?«, fragte sie, während sie wieder zur Treppe gingen, und deutete auf einen Gang, der auf der anderen Seite der Galerie abzweigte.

»Dort geht es zum verfallenen Teil des Palas. Ich beschäftige mich derzeit mit den Plänen für einen Wiederaufbau, aber Sie sollten diesen Bereich meiden, er ist gefährlich.«

»Hat in meinem Zimmer wirklich mal ein Prinz gewohnt?«

»Aye, das war der Enkel des letzten männlichen Königs aus der Stuart-Linie, allgemein als Bonnie Prince Charlie bekannt. Er lebte mit seiner Familie im Exil in Italien und Frankreich und kehrte 1745 nach Schottland zurück, um den schottischen und englischen Thron für die Stuarts zurückzuerobern. Zunächst war er erfolgreich und ist fast bis nach London vorgerückt, doch dann musste er den Rückzug antreten, und wurde bei Culloden vernichtend geschlagen. Auf seiner anschließenden Flucht quer durch die Highlands fand er Unterschlupf bei verschiedenen Clans, die den Stuarts die Treue hielten, unter anderem auch hier auf Glenlark Castle.«

Sie waren im Erdgeschoss angelangt und Morgan öffnete eine Tür, die in eine Bibliothek führte. Zwei Wände waren vom Boden bis zur Decke mit prall gefüllten Bücherregalen bestückt, eine dritte war, wie im Esszimmer, mit bodentiefen Fenstern versehen, die ebenfalls auf den Garten hinausgingen. Neben mehreren Ledersofas, samtbezogenen Sesseln und kleinen Tischen enthielt der Raum einen großen Glaskasten, in dem sich diverse Exponate befanden.

Interessiert beugte Laurie sich darüber. »Was ist das alles?«

»Das sind alte Familienerbstücke.« Morgan deutete auf einen langen Dolch. »Mit diesem Dirk hat einer meiner Vorfahren während der schottischen Bürgerkriege zwischen 1644 und 1650 gekämpft. Das daneben ist ein Sgian dubh, ein Strumpfdolch. Nachdem den Schotten 1716 das Tragen von Waffen verboten wurde, gingen viele dazu über, ein kleines Messer im Strumpf aufzubewahren, um nicht vollkommen wehrlos zu sein. Dieser hier gehörte dem Chief unseres Clans, der nach der Schlacht von Culloden enthauptet wurde. Das Plaid hier«, Morgan zeigte auf eine mehrfach gefaltete Stoffbahn, »stammt auch von ihm, das Muster wurde später als offizieller Tartan der Blackmonds übernommen. Der Rosenkranz dort war übrigens ein Geschenk von Charles Edward Stuart für den gewährten Unterschlupf, und die Bibel ließ er zurück, als er flüchten musste.«

Laurie schwirrte allmählich der Kopf von den ganzen historischen Dingen, und so war sie froh, als Morgan sie durch die Halle ins Freie hinausführte. Sie hatten gerade den Hof betreten, da kam Iain aus einem der Nebengebäude und steuerte zielstrebig auf sie zu.

»Iain, mein Verwalter«, erklärte Morgan, »Iain, das ist Laurie Harper aus Los Angeles, sie wird eine Weile bei uns zu Gast sein.«

Der blonde Schotte lächelte. »Wir kennen uns bereits, ich habe sie gestern vom Flughafen abgeholt.«

»Das trifft sich hervorragend, dann kannst du sie ja weiter herumführen, ich habe nämlich noch zu tun.«

Bevor Laurie Widerspruch erheben konnte, hatte Morgan sie in Iains Richtung geschoben und verschwand mit langen Schritten im Haus. Sprachlos schaute sie ihm hinterher, bis ein leises Lachen von Iain ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihn lenkte.

»Er ist manchmal etwas eigen, nehmen Sie es nicht persönlich«, schmunzelte er und nahm ihren Ellenbogen. »Kommen Sie, ich mache Sie mit unseren Haustieren bekannt.«

Eigen ist eine nette Umschreibung für sein unhöfliches Verhalten, dachte Laurie grimmig, und das nehme ich sehr wohl persönlich.