Vielleicht – Die McDermotts Band 5

Ebook & Taschenbuch

Um mehr Zeit für seinen Sohn Scott zu haben und den Verkupplungsversuchen seiner Mutter zu entgehen, lässt der alleinerziehende Vater Grant McDermott sich vom Houston Police Department nach Stillwell versetzen. Damit gerät er jedoch vom Regen in die Traufe, denn Rose Porter lässt nichts unversucht, um den neuen, smarten Deputy Sheriff an die Frau zu bringen. Zusätzlichen Ärger verursacht Scotts überengagierte Lehrerin Charlotte, die mit Grants Erziehungsmethoden überhaupt nicht einverstanden ist. Als er sie eines Nachts dabei ertappt, wie sie das zwielichtige Etablissement ‘La Casa’ verlässt, scheint die Lösung seiner Probleme zum Greifen nahe – doch damit fangen seine Schwierigkeiten erst richtig an …

Kapitel 1

»Das ist der tristeste Junggesellenabschied, den ich je erlebt habe«, beklagte Callan McDermott sich und reichte ein paar Dosen Bier herum.

Es war Freitagabend, und die männlichen Mitglieder der Familie McDermott hatten sich im Wohnzimmer der Porter-Ranch versammelt.

Ryan McDermott-Davis, sein Schwager, grinste. »Ich nehme an, du vermisst die Stripperin.«

»Hör bloß auf«, murrte Callan missmutig. »Wenn ich mir vorstelle, dass unsere Frauen jetzt gerade Spaß mit irgendeinem halb nackten Kerl haben, während wir hier den Babysitter spielen dürfen – es ist einfach unfair.«

»Benimm dich, Cal«, mahnte Adrian, der Älteste der vier McDermott-Geschwister, mit gespieltem Ernst, »es sind Kinder anwesend.«

Callan schaute hinüber zu seinem knapp sechs Monate alten Sohn Daniel, der auf einer Krabbeldecke lag und vor sich hin gluckste. Der elfjährige Timmy, Sohn von Lauren und Ryan, saß neben seinem kleinen Cousin und wedelte mit einer bunten Rassel vor dessen Gesicht herum. Lilly und Lucas, die neun Wochen alten Zwillinge von Adrian und seiner Frau Melody, schlummerten selig in ihrer Tragetasche.

Sofort wurde Callans Blick weich. »Schon gut, ich habe nichts gesagt. Dafür, dass unsere Frauen uns diese wunderbaren Geschenke gemacht haben, dürfen sie sich auch mal amüsieren.«

Jordan, jüngster McDermott-Bruder und Bräutigam, schmunzelte. »Wir holen den Männerabend irgendwann nach«, versprach er. »Allerdings bin ich gar nicht so böse, dass wir ein bisschen Ruhe haben, ich wollte noch etwas mit euch besprechen.«

»Was ist los, Kleiner?«, fragte Callan. »Geht es um die Hochzeit? Hast du etwa kalte Füße bekommen?«

Jordan verdrehte die Augen und winkte ab. »Quatsch, das würde Rose doch niemals zulassen.«

Die Männer grinsten einmütig. Rose Porter, inoffizielles Familienoberhaupt, hatte es sich zur Lebensaufgabe gemacht, die ledigen McDermotts zu verkuppeln. Unterstützt wurde sie dabei von ihrer Schwester Millie, und die beiden hatten ganze Arbeit geleistet.

Callan hatten sie durch einen Trick mit Roses Enkeltochter Joyce zusammengebracht und Adrian hatte kaum Anstoß gebraucht, um seine Sekretärin Melody zu heiraten. Lauren war auf einigen Umwegen endlich mit ihrer Jugendliebe Ryan vermählt und Jordan hatten sie ebenfalls erfolgreich mit Melodys Schwester Kerry verkuppelt.

»Nein, es geht um Vaters Ranch«, sagte Jordan jetzt. »Ihr wisst ja, dass ich sie ursprünglich komplett verkaufen wollte. Aber nachdem wir inzwischen erfahren haben, dass da im Boden Öl im Wert von mehreren Millionen Dollar schlummert, habe ich mir etwas anderes überlegt.«

»Willst du mit Kerry doch hier in Stillwell bleiben?«

Jordan schüttelte den Kopf. »Nein, wir gehen wie geplant nach San Antonio. Es ist die beste Lösung für uns. Kerry wird nach der Entbindung ihr Studium beginnen, und es wäre nicht sinnvoll, wenn sie jeden Tag fast hundert Meilen auf der Interstate hin und her fahren muss. Und ich habe dort den idealen Standort für meine IT-Firma. Anfangs werde ich mir zu Hause ein Büro einrichten, so kann ich auf das Baby aufpassen, während Kerry in der Uni ist. Außerdem sind mit der Ranch so viele unangenehme Erinnerungen für uns alle verbunden …«

Er brachte den Satz nicht zu Ende, aber die anderen wussten auch so, wovon er sprach.

Die McDermott-Geschwister hatten ihre Kindheit auf der Ranch verbracht, eine Kindheit, die geprägt war von einem alkoholsüchtigen, prügelnden Vater und einer Mutter, die ihren Ehemann mit ständig wechselnden Männern betrog, bis er sie davonjagte.

Vor Kurzem war Charles McDermott gestorben, doch niemand aus der Familie legte Wert darauf, an diesen Ort voll schmerzhafter Erinnerungen zurückzukehren.

»Jedenfalls«, Jordan nahm ein paar Dokumente aus einer Mappe und reichte sie herum, »war ich vorgestern beim Notar und habe das Land auf uns alle eintragen lassen. Jedem von uns Geschwistern gehört also ein Viertel davon, und auch ein entsprechender Anteil vom Öl, falls wir uns irgendwann entschließen sollten, es zu fördern. Ausgenommen ist das Ranchhaus, das werde ich verkaufen und mit dem Erlös meinen Kredit bei der Bank zurückzahlen, sodass Kerry und ich schuldenfrei sind.«

Seine Brüder warfen einen kurzen Blick auf die Unterlagen, dann war Adrian der Erste, der das Wort ergriff.

»Bist du dir sicher?«, fragte er zweifelnd. »Du wirst für das Haus nicht viel bekommen, zusammen mit dem Land würdest du einen wesentlich besseren Preis erzielen. Keiner von uns braucht das Öl. Lauren hat die Cactus-Bar, Callan hat die Ferien-Ranch und die Pferdezucht, und ich habe die Dermoil Company. Für unser Auskommen ist also gesorgt, du bist der Einzige, der finanziell nicht abgesichert ist.«

Callan nickte zustimmend, doch Jordan schüttelte entschlossen den Kopf.

»Nein, ich möchte, dass ihr euren Teil bekommt. Wenn ihr es nicht für euch wollt, denkt an eure Kinder. Du und Melody habt jetzt die Zwillinge, Callan und Joyce haben Daniel und planen weiteren Nachwuchs. Lauren hat Timmy und ist auch wieder schwanger und ich werde ebenfalls bald Vater. Vielleicht wird der Tag kommen, an dem eines unserer Kinder froh sein wird, dass es auf diese finanzielle Reserve zurückgreifen kann.« Er machte eine kleine Pause. »Außerdem ist das Haus bereits verkauft.«

»So schnell?«, wunderte Adrian sich. »An wen?«

»An Grant.«

»Grant?« Callan runzelte die Stirn. »Etwa Grant McDermott? Unser Cousin?« Als Jordan nickte, fügte er überrascht hinzu: »Ich dachte, er hat einen krisensicheren Job bei der Polizei in Houston.«

»Hatte«, korrigierte Jordan ihn. »Wir haben seit Vaters Beerdigung ab und zu miteinander telefoniert, und er hat irgendwann erwähnt, dass er der Großstadt den Rücken kehren will. Wie ihr wisst, war Tom Wilsons Posten als Deputy frei, nachdem er zum County-Sheriff gewählt wurde, und als ich Grant davon erzählt habe, hat er seinen Chief um Versetzung gebeten. Und da er natürlich auch eine Wohnung hier in der Nähe braucht, habe ich ihm die Ranch angeboten – zu einem fairen Preis selbstverständlich.«

»Grant kommt also nach Stillwell«, sagte Callan nachdenklich. »Ist er eigentlich immer noch alleine mit Scott?«

»So weit ich weiß, ja«, nickte Jordan. »Wieso interessiert dich das?«

Callan grinste. »Ich wette zehn Dollar, dass das nicht lange so bleiben wird.«

Unterdessen waren die weiblichen Mitglieder der Familie McDermott sowie Rose, Millie und Jordans künftige Frau Kerry in der Cactus-Bar beschäftigt. Allerdings nicht mit ihrem Vergnügen, wie die Männer annahmen, sondern damit, das Buffet für die bevorstehende Hochzeit vorzubereiten.

Das war jedoch nicht ganz so einfach, denn wie an jedem Freitag fand auch heute in der Bar der übliche Tanzabend statt, und es gab eine Menge zu tun.

Während Lauren, die seit einer Weile die Besitzerin der Cactus-Bar war, trotz ihres inzwischen umfangreichen Babybauchs am Herd stand und Essen kochte, bediente Kerry wie gewohnt draußen die Gäste. Joyce und Melody richteten kalte Platten an, Joyces Großmutter Rose und ihre Schwester Millie dekorierten die Hochzeitstorte.

Irgendwann weit nach Mitternacht kam Kerry mit einem Stapel leerer Teller in die Küche. »Das war‘s für heute, die letzten drei Cowboys habe ich gerade hinauskomplimentiert.« Sie ließ sich auf einen Stuhl fallen. »Puh, was tun mir die Füße weh. Ihr glaubt ja nicht, wie froh ich bin, dass ich diesen Job künftig nicht mehr machen muss.«

»Jaja«, seufzte Lauren gespielt vorwurfsvoll, »lasst mich nur alle im Stich. Erst Jordan, jetzt du – ich weiß gar nicht, wie ich das in Zukunft hier alles bewältigen soll.«

»Na, einen Ersatz für Jordan hast du doch schon«, tröstete Melody sie, »und eine neue Bedienung findest du sicher auch.«

»Wie wäre es mit Rose und mir?«, schlug Millie vor.

Lauren füllte Reinigungsmittel in die Spülmaschine, stellte sie an und drehte sich um. »Ihr wollt die Gäste bedienen?«

»Warum nicht?« Millie zuckte mit den Achseln. »Immerhin haben wir dich hier in der Küche schon einmal vertreten, und das gar nicht so schlecht.« Mit einem Augenzwinkern fügte sie hinzu: »Und der neue Barkeeper ist zwar kein McDermott, aber sein Hinterteil ist auch nicht zu verachten – da würde mir die Arbeit sicher doppelt so viel Spaß machen.«

»Damit du mit ihm dann irgendwann in einer Bierpfütze hinter der Theke landest, so wie Kerry und Jordan?«, fragte Rose trocken.

Kerry wurde rot. »Könnt ihr das vielleicht langsam mal vergessen?«, murmelte sie verlegen. »Das war ein dummes Missgeschick.«

»Ja, natürlich«, erwiderte Rose mit liebevollem Spott, »Jordan ist rein zufällig auf dich gefallen, und dabei hat sich rein zufällig seine Hose geöffnet, und …«

»Granny«, unterbrach Joyce sie vorwurfsvoll, »ich glaube, uns sind bereits alle Details bekannt.«

Melody riss einen Streifen Frischhaltefolie von der Rolle und umhüllte eine der Platten damit. »Also ich finde die Idee gar nicht so schlecht. Vielleicht solltest du das Angebot annehmen, wenigstens, bis du einen Ersatz für Kerry gefunden hast.«

»Das finde ich auch«, stimmte Rose zu, »immerhin kennen wir uns ja hier inzwischen gut aus.«

Abwehrend hob Lauren die Hände. »Ich bin ja schon froh, dass ihr mich für die erste Zeit nach der Entbindung unterstützen wollt, und ich möchte euch nicht über Gebühr beanspruchen. Außerdem habe ich bereits eine Annonce aufgegeben, also dürfte sich das Thema wohl bald erledigt haben.«

»Schade«, seufzte Millie enttäuscht.

»Vielleicht ist es besser so«, schmunzelte Kerry, »am Ende landen wieder zwei unschuldige Leute in der Speisekammer und werden dazu genötigt, unanständige Dinge zu tun.«

»Nun, immerhin dieser kleine Ausflug dir und Jordan klar gemacht, dass ihr zusammengehört«, stellte Rose fest. »Außerdem sind jetzt alle McDermotts unter der Haube, es kann also nichts mehr passieren.«

Joyce musterte ihre Großmutter und schüttelte mit dem Kopf. »Irgendwie kann ich das nicht so recht glauben. So wie ich dich kenne, wirst du doch bestimmt bald ein neues Opfer finden.«

Kapitel 2

»Willst du nicht deine Sachen auspacken?«

Es war später Samstagvormittag, und Grant McDermott hatte den ganzen Morgen damit zugebracht, Umzugskisten auszuräumen.

Nun stand er im Türrahmen von Scotts Zimmer und schaute seinen fünfzehnjährigen Sohn an, der mit geschlossenen Augen auf dem Bett lag. Als dieser keine Antwort gab, trat er zu ihm und zog ihm die Ohrstöpsel des MP3-Players aus den Ohren.

»Erde an Scott – wie wäre es, wenn du deine Sachen auspackst?«, wiederholte er geduldig.

»Keine Lust.«

Grant setzte sich zu ihm. »Hör mal, mir ist klar, dass dir dieser Umzug hierher nicht gefällt, aber du wirst dich bestimmt schnell eingewöhnen. Es gibt eine Menge Dinge, die man hier unternehmen kann, und wenn die Schule erst mal begonnen hat, wirst du garantiert rasch Freunde finden.«

Scott verzog das Gesicht. »Es wird stinklangweilig werden«, murmelte er missmutig. »Warum musstest du unbedingt in dieses Kaff ziehen?«

Mit leichtem Unbehagen wich Grant dem anklagenden Blick seines Sohns aus. Wie hätte er ihm denn auch erklären sollen, dass er Houston den Rücken gekehrt hatte, um den ständigen Verkupplungsversuchen seiner Mutter zu entgehen?

Du solltest wieder heiraten, Scott braucht eine Mutter, eine Frau im Haus würde euch guttun – seit knapp fünfzehn Jahren lag sie ihm damit in den Ohren.

Dabei kamen er und Scott wunderbar zurecht, obwohl es natürlich nicht immer ganz einfach gewesen war.

Angela, seine Ex-Frau, hatte ihn kurz nach Scotts Geburt mit dem Baby sitzengelassen, um sich mit irgendeinem reichen Börsenmakler nach New York abzusetzen. Nach anfänglichen Startschwierigkeiten hatte Grant sich mit seiner neuen Rolle als alleinerziehender Vater zurechtgefunden. Er hatte gelernt, Fläschchen und Babykost zuzubereiten, Windeln zu wechseln, und wusste, was man bei Windpocken und aufgeschlagenen Knien zu tun hatte. Scott und er waren zu einem großartigen Team zusammengewachsen, und das Letzte, was sie gebrauchen konnten, war eine Frau, die ihr stressfreies Leben durcheinanderbrachte.

Allerdings sah seine Mutter das anders. Bisher hatte sie immer nur geredet, und er hatte die Ohren auf Durchzug gestellt. Doch als sie vor ein paar Monaten damit angefangen hatte, ihm alle möglichen ledigen Töchter ihrer Freundinnen auf den Hals zu hetzen, hatte er beschlossen, die Flucht zu ergreifen. Von Jordan hatte er zufällig erfahren, dass in Stillwell der Posten des Deputy Sheriffs frei war, also hatte er nicht lange gezögert und seinen Chef um Versetzung gebeten. Dass Jordan ihm das Ranchhaus verkauft hatte, selbst wenn es sehr renovierungsbedürftig war, war ein zusätzlicher Punkt gewesen, der ihn in seinem Entschluss bestärkt hatte.

»Weil es hier viel schöner ist als in der Stadt«, erklärte Grant nun geduldig. »Die Luft ist besser, die Leute sind netter, und außerdem wohnt ein Großteil unserer Familie in der Umgebung. Vielleicht kannst du dich ja auch ein bisschen mit Timmy anfreunden.«

Scott rollte mit den Augen. »Ich bin begeistert.«

Einen Moment war Grant versucht, sich zu ihm herunterzubeugen, ihn in den Arm zu nehmen und zu drücken. Allerdings war Scott aus dem Alter heraus, wo er sich so etwas gefallen ließ, und so beschränkte er sich darauf, ihm kameradschaftlich auf den Arm zu boxen.

»Prima, dann würde ich vorschlagen, du packst jetzt aus, und danach machen wir uns für die Hochzeit von Jordan fertig. Bestimmt freuen sich alle schon auf dich, es ist einige Jahre her, seit sie dich das letzte Mal gesehen haben.«

»Na gut, wenn es sein muss.« Scott klang genervt, doch er stand auf, öffnete seinen Koffer und begann, seine Sachen in den Einbauschrank zu räumen.

Grant erhob sich ebenfalls und ging zur Tür. Dort drehte er sich noch einmal um und beobachtete seinen Sohn einen Moment. Ein kleines Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. Es war die richtige Entscheidung gewesen, hierher nach Stillwell zu kommen, dessen war er sich ganz sicher.

»Oh Gott, ich bin so aufgeregt«, erklärte Kerry zum wiederholten Male und zupfte nervös an ihrer Frisur herum. Sie stand zusammen mit ihrer älteren Schwester Melody und ihrer künftigen Schwägerin Joyce in deren Schlafzimmer auf der Porter-Ranch, wo die Hochzeit stattfand. »Ich werde tatsächlich Mrs. Jordan McDermott, ich kann es immer noch nicht glauben.«

»Ich auch nicht«, kommentierte Melody trocken, »nach all deinen Eskapaden würde es mich nicht wundern, wenn Jordan in letzter Minute kalte Füße bekäme.«

»Vielen Dank«, gab Kerry ironisch zurück, »das ist genau das, was eine Braut an ihrem Hochzeitstag hören möchte. Hast du nicht etwas zu tun? Die Babys stillen oder wickeln?«

Melody lachte. »Mach dir keine Hoffnungen, so schnell wirst du mich nicht los. Adrian und Callan kümmern sich um Lilly, Lucas und Daniel.«

»Richtig«, bestätigte Joyce, »heute haben wir Frauen mal eine Auszeit.«

»Hatten wir die nicht gestern schon?«, fragte Melody schmunzelnd.

»Nun, zumindest denken das unsere Männer«, grinste Joyce. »Als ich nach Hause kam, hat Callan mich fast eine Stunde gelöchert, ob wir einen Stripper gehabt hätten.«

»Und«, wollte Kerry wissen, »hast du ihm die Wahrheit gesagt?«

»Natürlich nicht. Soll er ruhig ein bisschen schmoren«, erwiderte Joyce amüsiert. Sie nahm ein Strumpfband aus ihrer Kommode und reichte es Kerry. »Hier, zieh das an, so hast du etwas Blaues und etwas Geliehenes gleichzeitig. Ich hoffe, es bringt dir Glück.«

Kerry hob ihr Kleid an und streifte das Band über. Dann betrachtete sie sich im Spiegel. Ihre Finger spielten mit dem Silberarmband an ihrem Handgelenk. »Gut, dass Jordan das Armband meines Vaters im Pfandhaus ausgelöst hat. Damit habe ich auch etwas Altes.«

»Fehlt nur noch etwas Neues«, lächelte Melody. Sie zog eine kleine, silberne Brosche in Form einer Rose aus ihrer Tasche hervor und befestigte sie an Kerrys Ausschnitt. »Das ist von Adrian und mir, wir wünschen dir und Jordan alles Glück dieser Welt.«

Gerührt fiel Kerry ihrer Schwester um den Hals. »Danke, das ist wirklich lieb.«

Beide wischten sich verstohlen ein paar Tränen aus dem Augenwinkel, dann rückte Joyce den kleinen Blütenkranz in Kerrys Haar zurecht.

»Hoffentlich geht dieses Mal alles glatt. Allmählich glaube ich nämlich, dass ein Fluch auf den McDermott-Hochzeiten liegt.«

»Wie kommst du denn darauf?«, fragte Kerry verständnislos.

»Weil immer irgendetwas passiert, womit keiner rechnet«, erklärte Melody. »Als Joyce ihr Jawort geben sollte, hat sie Nein gesagt, um Callan vor allen Leuten zu beichten, dass sie ein Kind erwartet. Mich hat Adrian fünf Minuten vor der Trauung entführt und ist mit mir nach Las Vegas durchgebrannt, und auf der Hochzeit von Lauren und Ryan ist Joyces Fruchtblase geplatzt. Du solltest also mit dem Schlimmsten rechnen.«

Kerry lachte. »Ach Unsinn. Jordan weiß bereits, dass ich schwanger bin, eure Zwillinge sind schon auf der Welt, und bis Laurens Baby kommt, dauert es noch drei Wochen – es kann also gar nichts schiefgehen.«

Als Grant und Scott auf der Porter-Ranch eintrafen, wurden sie herzlich begrüßt. Callan führte sie nach hinten in den Garten, wo alles für die Trauung vorbereitet war. Auf einem kleinen Podium war ein blumengeschmückter Hochzeitsbogen aufgestellt, und auch sämtliche Stühle, die in ordentlichen Reihen davor standen, waren mit Schleifen und Blumen dekoriert. Im Schatten des Hauses war ein üppiges Buffet aufgebaut, direkt daneben befanden sich mehrere lange Tische, allesamt mit weißen Tischtüchern bedeckt und Blumengestecken geschmückt.

Ein Stück weiter gab es ein zweites Podest, das später als Tanzfläche dienen sollte, und seitlich davon hatte sich eine Band platziert, die momentan leise, getragene Melodien spielte.

»Wow, sieht nach einer größeren Feier aus«, stellte Grant fest, während er seinen Blick durch den Garten und über die vielen Gäste schweifen ließ.

Alle waren festlich gekleidet, und er war froh, dass er ebenfalls einen dunklen Anzug und ein weißes Hemd angezogen hatte. Auch Scott hatte er trotz seines Protests genötigt, wenigstens das dunkelblaue Jackett seiner ehemaligen Schuluniform zu seinem T-Shirt und seiner Jeans anzuziehen.

Callan grinste. »Rose hat halb Stillwell eingeladen.«

In diesem Moment kam die grauhaarige, alte Dame bereits auf sie zugeeilt. »Meine Güte, wie groß du geworden bist«, lächelte sie und tätschelte Scott mütterlich die Wange, was dieser sich mit verbissenem Gesicht und sichtbarem Widerwillen gefallen ließ. »Du kannst dich mit Timmy da drüben neben Mrs. Fletcher setzen«, wies sie ihn an, »Grant, du sitzt vorne bei uns.«

»Ich will mich aber nirgends dazwischen drängen«, sagte Grant zurückhaltend.

»Keine Sorge, das tust du nicht.« Energisch packte Rose ihn am Arm und schob ihn zwischen den Stuhlreihen hindurch, während Scott Timmy zu zwei Stühlen in der zweiten Reihe folgte.

Kaum hatten alle ihre Plätze eingenommen, kam Joyce um die Ecke. »Kerry ist fertig, es kann losgehen.«

Jordan und Chad, einer seiner besten Freunde, traten vor den Friedensrichter, der bereits unter dem Hochzeitsbogen stand, Rose gab der Band ein Zeichen, und der klassische Hochzeitsmarsch erklang.

Zusammen mit Melody, die sowohl als Brautführerin wie auch als Trauzeugin fungierte, kam Kerry langsam den Gang zwischen den Stuhlreihen entlanggeschritten. Jordan blickte ihr entgegen, seine Augen strahlten, und als sie bei ihm angelangt war, griff er nach ihrer Hand. Sie wandten sich dem Friedensrichter zu und dieser begann mit der Zeremonie.

»Verehrte Gäste, wir haben uns heute hier versammelt, um diesen Mann und diese Frau …«

»Hochzeiten sind doof«, flüsterte Scott Timmy zu, was ihm einen tadelnden Blick von Mrs. Fletcher einbrachte, einer korpulenten Dame älteren Jahrgangs, die neben ihm saß.

»Meine Mom und mein Dad haben vor einer Weile auch geheiratet«, wisperte Timmy zurück.

Scott verdrehte die Augen. »Schön dumm von deinem Dad. Mein Vater und ich sind alleine, und das ist viel besser. Wir lassen uns von keiner Frau reinreden und Vorschriften machen.«

»Pst«, zischte Mrs. Fletcher jetzt giftig, »wollt ihr wohl still sein?«

Die beiden Jungs grinsten sich an und richteten ihre Aufmerksamkeit wieder nach vorne, wo der Friedensrichter nun zum entscheidenden Punkt kam.

»Willst du, Jordan McDermott, die hier anwesende Kerry …«

In diesem Moment ertönte ein schriller Schrei, und bevor alle richtig begriffen, was los war, sprang Mrs. Fletcher auf ihren Stuhl.

»Eine Ratte«, rief sie hysterisch, »eine Ratte.«

Augenblicklich brach ein allgemeiner Tumult aus. Die Frauen erklommen sämtliche Sitzgelegenheiten, Kerry rettete sich mit einem Sprung auf Jordans Arme, während die Männer sich zunächst ratlos anschauten und dann hektisch anfingen, nach dem Tier zu suchen. Auch Scott und Timmy krochen auf dem Boden herum, und es dauerte nicht lange, bis Scott einen triumphierenden Laut ausstieß.

»Ich hab ihn.« Er richtete sich auf, das Corpus Delicti in den Händen vor sich haltend. »Mr. Speckles ist keine Ratte«, erklärte er vorwurfsvoll, »er ist eine Wüstenrennmaus.«

Mrs. Fletcher war einer Ohnmacht nahe. »Nimm sofort dieses Vieh weg«, schrillte sie voller Panik.

Sich mühsam das Lachen verkneifend ging Callan auf Scott zu. »Komm, wir bringen Mr. Speckles lieber in Sicherheit, bevor er als Kragenbesatz endet.«

Er schob Scott vor sich her zur Scheune, und Grant wandte sich verlegen an Kerry und Jordan.

»Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll«, murmelte er unbehaglich. »Es tut mir wirklich außerordentlich leid.«

Zu seiner Überraschung sahen jedoch weder die beiden noch der Rest der Familie verärgert aus, im Gegenteil, alle hatten ein amüsiertes Grinsen im Gesicht.

»Das war doch klar«, schmunzelte Rose, und Joyce nickte. »Ein Fluch, es muss ein Fluch sein.«

Irritiert schaute Grant von einem zum anderen. »Ich verstehe nicht, wovon redet ihr?«

»Bei McDermott-Hochzeiten geht immer etwas schief«, klärte Millie ihn auf. »Es war so sicher wie das Amen in der Kirche, dass heute irgendetwas passiert, du musst dir also gar keine Gedanken machen.«

Dennoch war Grant nicht beruhigt. »Trotzdem, es ist mir ziemlich unangenehm. Ich werde Scott gehörig die Ohren lang ziehen.«

»Das will ich doch sehr hoffen«, mischte Mrs. Fletcher sich empört ein und funkelte Grant vorwurfsvoll an. »Wenn Sie mich fragen, verdient der Bengel eine ordentliche Tracht Prügel.«

»Wir fragen Sie aber nicht, Mrs. Fletcher«, erklärte Lauren übertrieben freundlich und wandte sich dann an Grant. »Sei nicht so streng mit ihm. In dem Alter ist es schließlich völlig normal, dass sie Dummheiten machen. Am besten vergessen wir das Ganze und genießen die Feier.«

Jordan nickte. »Ja, ich wäre auch froh, wenn wir es jetzt endlich hinter uns bringen würden. Diese dämliche Krawatte schnürt mir nämlich die Luft ab.«

Alle lachten, und als Callan und Scott wenig später ohne den winzigen Übeltäter zurückkehrten, hatten Kerry und Jordan sich bereits das Ja-Wort gegeben.

Kapitel 3

Die weiteren Festlichkeiten gingen ungestört über die Bühne, und trotz des Zwischenfalls herrschte eine fröhliche Stimmung. Wie üblich wurde zunächst feierlich die Torte angeschnitten, und nachdem alle ausgiebig dem üppigen Buffet zugesprochen hatten, warf Kerry den Brautstrauß. Unter den anfeuernden Rufen der männlichen Gäste ließ Jordan Kerrys Strumpfband folgen, danach eröffnete das frischgebackene Ehepaar den Tanz.

Irgendwann am späten Abend kehrte ein wenig Ruhe ein, und während die Männer an der kleinen Bar standen, hatten die weiblichen McDermotts es sich an einem der Tische gemütlich gemacht.

»Er ist umwerfend attraktiv«, stellte Millie fest und musterte Grant, der sich angeregt mit Callan unterhielt.

Melody nickte. »Er sieht Adrian ziemlich ähnlich.«

Tatsächlich war es nicht zu übersehen, dass Grant und Adrian miteinander verwandt waren. Sie hatten das gleiche schwarze Haar, dieselben grauen Augen und waren beide groß und kräftig, wie alle McDermott-Männer.

»Ich fand es damals sehr schade, dass Onkel William und Tante Jane weggezogen sind«, sagte Lauren. »Wir hatten immer eine Menge Spaß zusammen, und bei ihnen zu Hause war es viel schöner als bei uns.«

»Ich kann mich noch gut erinnern, wie oft Dean, Grant und Kade gemeinsam mit deinen Brüdern in meiner Küche gesessen und Cookies gegessen haben«, sinnierte Rose.

Millie nickte. »Wie die Zeit vergeht. Grant war ein zwölfjähriger Dreikäsehoch, als sie nach Houston gegangen sind, und jetzt ist er ein erwachsener Mann und hat selbst einen Sohn.«

»Ein unverheirateter Mann«, murmelte Rose, und Joyce stöhnte auf.

»Granny, bitte nicht.«

Rose warf ihr einen gekränkten Blick zu. »Was denn? Man wird sich doch wohl noch Gedanken machen dürfen.«

»Wir alle wissen nur zu gut, wie schnell aus deinen Gedanken Taten werden«, erwiderte Joyce trocken.

»Der Junge braucht eine Mutter«, erklärte Rose energisch.

»Wir hatten auch keine Mutter«, betonte Lauren, »und kamen prima zurecht.«

»Ja, sicher«, nickte Rose spöttisch. »Deswegen standest du auch mit sechzehn schwanger auf der Straße. Und deine Brüder? Adrian ist auf eine Frau hereingefallen, die nur auf sein Geld aus war, Callan hat sich durch sämtliche Betten in Texas geschlafen und Jordan hat eine ausgewachsene Bindungsphobie.«

Kerry schmunzelte. »Das dürfte sich ja wohl inzwischen alles erledigt haben.«

»Stimmt, trotzdem finde ich es nicht richtig, dass die zwei jetzt ganz alleine da auf der Ranch hausen, ohne dass sich jemand um sie kümmert«, beharrte Rose.

»Granny«, Joyce schaute ihre Großmutter eindringlich an, »du wirst dich da nicht einmischen. Offenbar ist Grant bisher mit Scott sehr gut zurechtgekommen, es gibt also keinen Grund, Amor zu spielen.«

Entrüstet stemmte Rose die Hände in die Hüften. »Was du gleich wieder denkst. Wer redet denn davon? Ich habe lediglich an eine Frau gedacht, die für die beiden kocht, wäscht, sich ein bisschen um Scott kümmert und …«

»… Grant den Kopf verdreht«, ergänzte Melody amüsiert.

Ein Funkeln trat in die Augen der alten Dame. »Nun ja, wenn es sich durch Zufall so ergibt, wäre es doch nicht das Schlechteste, oder?«

Es war spät in der Nacht, als Grant und Scott nach Hause kamen. Vorsichtig trug Scott den kleinen Pappkarton, in den Callan und er die Rennmaus verfrachtet hatten, in sein Zimmer. Dort setzte er das Tierchen behutsam zurück in seinen Käfig und legte ihm ein Stück Karotte hinein.

»Hier, als Entschädigung, weil du die Feier verpasst hast«, murmelte er dabei in einem tröstlichen Tonfall.

Grant stand neben ihm und hatte Mühe, sich ein Grinsen zu verkneifen. »Mr. Speckles hat für ziemliche Aufregung gesorgt.«

»Es tut mir leid Dad, ehrlich«, beteuerte Scott. »Ich hatte ihn in meine Jackentasche gesteckt, weil ich ihn Timmy zeigen wollte. Du hast selbst gesagt, ich soll mich mit ihm anfreunden, und ich dachte, Mr. Speckles würde ihm gefallen. Und ich wollte ihn hier nicht alleine lassen, er hat sich ja noch gar nicht an die neue Umgebung gewöhnt. Ich konnte doch nicht ahnen, dass er plötzlich aus der Tasche krabbeln würde.«.

»Er hat Mrs. Fletcher zu Tode erschreckt.«

»Sie hat Mr. Speckles zu Tode erschreckt«, betonte Scott vorwurfsvoll. »Außerdem ist sie ein alter Drachen, und wenn sie nicht gleich losgeschrien hätte, wären die anderen auch nicht so durchgedreht.« Er schwieg einen Moment und runzelte dann die Stirn. »Reagieren alle Frauen so hysterisch auf Mäuse?«

»Ich schätze, die meisten tun das«, bestätigte Grant. »Sie haben einfach Angst.«

Scott nickte. »Dachte ich mir. Nur gut, dass wir zwei alleine sind.«

Mit einer liebevollen Geste strubbelte Grant ihm übers Haar. »Ja, das ist es, und daran wird sich auch nichts ändern.«

Während Scott am Sonntagmittag an seinem PC saß und seinen Freunden in Houston per Chat von Mr. Speckles großem Auftritt berichtete, angelte Grant fluchend eine halb verbrannte Familienpizza aus dem Backofen.

Wie das übrige Wohnhaus der McDermott-Ranch war auch die Küche in einem ziemlich maroden Zustand. An den Schränken war der Lack abgeblättert und etliche Türen hingen schief in den Angeln. Von den kleinen Butzenscheiben der Geschirrvitrine war eine zersprungen, eine andere fehlte ganz. Das Spülbecken war rostig, der Kühlschrank machte eigenartige Geräusche und der Gasherd hatte seine besten Tage ebenfalls hinter sich.

Scott kam herein und verzog das Gesicht, als er die Pizza sah. »Das ist unser Mittagessen?«

»Tut mir leid, ich glaube, wir brauchen einen neuen Ofen. Kratz das Schwarze ein bisschen ab, dann geht es.«

Ohne große Begeisterung setzte Scott sich an den Tisch, nahm sich ein Stück Pizza und schabte mit dem Messer an der verbrannten Kruste herum.

»Okay, was wollen wir heute machen?«, fragte Grant, während er mit gutem Beispiel voranging und todesmutig in den verkohlten Teigrand biss.

Scott zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung, hier ist ja nichts los.«

»Wie wäre es mit Schwimmen?«, schlug Grant vor. »Wir könnten an den Silver Lake fahren. Früher sind Dean, Kade und ich dort häufig baden gegangen. Wir nehmen uns eine Decke mit und etwas zu trinken, und machen uns einen gemütlichen Nachmittag, was hältst du davon?« Als Scott zustimmend nickte, boxte er ihn freundschaftlich auf den Arm. »Dann komm, lass uns unsere Badesachen anziehen und alles einpacken.«

»Und was ist mit dem Essen?«

Grant warf einen angewiderten Blick auf die Pizza, stand auf, packte sie und schmiss sie schwungvoll in den Mülleimer. »Ich würde sagen, wir holen uns irgendwo ein paar Burger.«

Nachdem sie in einem kleinen Diner in Cotulla zwei doppelte Hamburger mit Fries verdrückt hatten, waren Grant und Scott unterwegs zum Silver Lake. Im Schatten eines großen Baumes stellte Grant seinen Jeep ab, dann suchten sie sich einen Weg durch die Büsche hinunter zum Seeufer. Dort angekommen entdeckten sie Joyce und Callan, die eng umschlungen in der Sonne lagen, während Daniel unter einem Sonnenschirm lag und schlief.

Zögernd blieb Grant stehen, doch da hatte Callan sie ebenfalls erspäht und winkte ihnen zu.

»Kommt, setzt euch zu uns.«

»Wir wollen nicht stören.«

»Unsinn.« Callan grinste. »Lauren und Ryan müssten auch jeden Moment da sein, es wird also sowieso nichts aus einem lauschigen Schäferstündchen.«

Joyce zwickte ihn in die Taille. »Hey McDermott, nicht vor den Kindern.«

»Schon gut Sprosse, ich bin schon ruhig.« Callan küsste seine Frau auf die Nasenspitze. »Wir werden später darauf zurückkommen, versprochen.«

»Hattest du mir nicht mit Liebesentzug gedroht, bis ich dir verraten habe, wie unsere Bachelor-Party in der Cactus-Bar war?«

»Ähm … ja, sicher.« Callan grinste. »Ich meinte ja auch, nachdem du mir alles erzählt hast.«

»Träum weiter, McDermott«, lachte Joyce, »von mir wirst du nichts erfahren.«

Mit einem tiefen Seufzer schaute Callan Grant an. »Frauen – herzlose Biester.«

Dieser schmunzelte. Bereits am Vortag war ihm aufgefallen, wie liebevoll seine Cousins mit ihren Ehefrauen umgingen. Offensichtlich waren sie alle sehr glücklich, und obwohl er ihnen dieses Glück von ganzem Herzen gönnte, stieg ein kleiner Anflug von Neid in ihm auf.

Sofort verdrängte er dieses Gefühl wieder. Er hatte Scott und das reichte ihm völlig.

Rasch breitete er seine Decke im Sand aus, entledigte sich seiner Kleidung bis auf die Badeshorts, und als Scott ebenfalls in der Badehose war, stürzten sie sich gemeinsam ins Wasser. Sie schwammen um die Wette, tauchten sich gegenseitig unter und tollten eine Weile herum.

Unterdessen trafen Lauren und Ryan ein, und als Timmy sich zu Scott gesellte, und zusammen mit ihm über Grant herfiel, trat dieser lachend den Rückzug an.

»Es ist fast wie früher«, schmunzelte er, während er sich mit einem Handtuch flüchtig abrubbelte und sich dann auf die Decke fallen ließ. »Dabei hätte ich nie gedacht, dass ich jemals wieder hier schwimmen gehen würde.«

Lächelnd schaute Lauren zu den beiden Jungs hinüber, die ausgelassen im See herumtobten. »Sieht so aus, als würde es Scott hier gefallen.«

»Er war gar nicht begeistert von dem Umzug«, gestand Grant. »Ich hoffe, er wird sich schnell eingewöhnen.«

»Bestimmt. Morgen sind die Ferien zu Ende, und wenn er erst mal ein paar Freunde gefunden hat, wird er Houston garantiert nicht vermissen. Hast du ihn eigentlich schon in der Schule angemeldet?«

Grant nickte. »Ja, gleich nachdem feststand, dass ich den Job hier bekomme.«

»Ich kann Scott morgen früh mitnehmen«, bot Ryan an, »ich fahre Timmy sowieso zum Unterricht, weil ich anschließend noch die Lebensmittel für die Bar einkaufe.«

»Das ist nicht nötig. Ich muss nach Carrizo Springs ins Sheriff‘s Department, da kann ich ihn selbst abliefern. Außerdem wird Scott sich vielleicht wohler fühlen, wenn ich ihn an seinem ersten Tag begleite. Eventuell komme ich in Zukunft mal auf das Angebot zurück, je nachdem, wie mein Dienstplan aussieht.«

»Klar, kein Problem«, betonte Lauren. »Du kannst dich jederzeit melden, falls du Hilfe oder Unterstützung brauchst. Ich weiß aus Erfahrung, dass es nicht einfach ist, sich alleine um ein Kind zu kümmern, und für Scott ist es bestimmt auch nicht so leicht ohne Mutter.«

Grant schaute zu seinem Sohn hinüber, der mit Timmy auf einem kleineren Felsen herumkletterte, und lächelte. »Kein Grund zur Sorge, uns beiden geht es wunderbar.«

Kapitel 4

Früh am Montagmorgen fuhr Grant mit Scott nach Carrizo Springs. Als sie vor dem Gebäude der Junior Highschool ankamen, hielt Grant am Straßenrand an und stellte den Motor ab.

»Du brauchst nicht mit reinkommen«, erklärte Scott, der die Absicht seines Vaters sofort erkannt hatte, »ich bin doch kein Baby mehr.«

Grant verkniff sich ein Schmunzeln. »Schade, ich wollte dich in deinen Klassenraum bringen und mich dort gebührend von dir verabschieden.«

»Dad.« Mit einem vorwurfsvollen Blick griff Scott nach dem Hebel für die Tür.

»Schon gut, war nur ein Scherz.« Freundschaftlich knuffte Grant seinen Sohn auf den Arm »Also dann, viel Spaß, und benimm dich, ich hole dich um drei Uhr wieder ab.«

»Bis später.«

Scott sprang aus dem Wagen und schlenderte gemächlich auf den Eingang zu, ohne sich noch einmal umzudrehen. Einen Moment schaute Grant ihm nach, schüttelte schließlich leise seufzend den Kopf, startete den Motor, legte den Gang ein und fädelte sich in den Verkehr ein.

Es dauerte nicht lange, bis er das Sheriff‘s Department gefunden hatte, und wenige Minuten später stand er Tom Wilson, dem Sheriff des Dimmit County, gegenüber. Dieser reichte ihm zur Begrüßung freundlich die Hand und bot ihm einen Platz vor seinem Schreibtisch an.

»Es freut mich, dass Sie den Job als Deputy in Stillwell übernehmen«, begann er, »vor allem, weil der Name McDermott dort gut bekannt ist, so wird man Sie nicht als Fremden betrachten.« Der Sheriff lehnte sich gemütlich in seinem Stuhl zurück und musterte Grant eingehend. »Ich hoffe, Sie haben keine allzu großen Erwartungen. Stillwell ist ein kleines, ruhiges Nest und nicht mit Houston zu vergleichen. Es gibt allerdings eine Sache, die ich mit Ihnen besprechen möchte, und zwar vertraulich – ich kann mich doch auf Ihre Diskretion verlassen?«

Grant nickte. »Selbstverständlich.«

»Es gibt ein gewisses Haus am Stadtrand von Stillwell, das La Casa«, begann Tom Wilson. »Offiziell handelt es sich um ein Heim für ledige Mütter und Frauen, die Schutz vor gewalttätigen Ehemännern suchen. Tatsächlich jedoch sind die Damen, die darin wohnen, Vertreterinnen des horizontalen Gewerbes.«

»Ein Bordell?«

»Ja. Außerdem finden dort offenbar auch illegale Pokerspiele statt. Etwas Konkretes weiß ich nicht, denn natürlich erstattet keiner der Männer Anzeige.«

»Natürlich«, schmunzelte Grant. »Und was erwarten Sie von mir? Soll ich den Laden ausheben?«

Der Sheriff seufzte. »Wenn es so leicht wäre, hätte ich das schon längst getan. Leider ist die Sache etwas schwieriger, ich bin da in einer Zwickmühle. Einerseits ist es unsere Aufgabe, solche Dinge zu unterbinden, denn Prostitution ist hier in Texas ebenso verboten wie in fast allen anderen Bundesstaaten. Andererseits verkehren dort auch Herren, die wichtige Posten hier im County bekleiden. Also können wir nicht einfach da reinstürmen und eine Razzia veranstalten, damit würden wir uns ziemlichen Ärger einhandeln. Das kann ich mir nicht leisten, daher habe ich bisher ein Auge zugedrückt. Doch seit einer Weile haben sich einige der älteren Bürgerinnen in Stillwell zu einer Protestgruppe zusammengeschlossen, und seitdem gibt es eine Menge Aufregung.«

»Und was soll ich tun?«

»Finden Sie heraus, wem das Haus gehört.«

»Steht das nicht im Grundbuchregister?«

»Dort ist immer noch der ursprüngliche Besitzer Harry Baker eingetragen, doch der ist seit Jahren tot. Er hatte keine Familienangehörigen, und niemand weiß, wem er das Anwesen vermacht hat. Allerdings muss es ja jemanden geben, der für alles verantwortlich ist, und es wäre Ihre Aufgabe, das herauszufinden. Wenn wir den Mann erst mal haben, werde ich ihm nahelegen, sein ‚Geschäft‘ zu schließen, und die Sache ist erledigt, ohne dass es ein großes Aufsehen gibt.«

»Gut, ich werde sehen, was ich tun kann.«

»Ich verlasse mich auf Sie, McDermott. Ich möchte das Thema La Casa vom Tisch haben, bevor die nächste Wahl ansteht, aber ich kann keinen übereifrigen Deputy gebrauchen, der eine Lawine lostritt.«

Grant nickte. »Verstanden.«

»Gut, das wäre es fürs Erste, alles Weitere wird Freddy Ihnen dann erklären.«

»Freddy?«

»Fred Carson, Ihr Kollege.« Der Sheriff rieb sich das Kinn. »Eigentlich ist Freddy kein Deputy, zumindest kein vereidigter. Aber er hat in Stillwell schon für Recht und Ordnung gesorgt, als ich noch ein kleiner Junge war, und gehört quasi zum lebenden Inventar. Die Einwohner von Stillwell akzeptieren und respektieren ihn, ich habe also keinen Grund gesehen, ihn vor die Tür zu setzen, außerdem spare ich dadurch den Posten des zweiten Deputys ein. Betrachten Sie ihn also einfach als Ihre rechte Hand, er kennt sich aus und wird Ihnen alles zeigen.« Tom Wilson erhob sich und reichte Grant die Hand. »Auf gute Zusammenarbeit.«

»Danke Sheriff, ich werde mein Bestes tun.«

Nachdem er sich noch einen Satz Uniformen sowie Dienstmarke, Waffe, Munition und anderes Equipment abgeholt hatte, machte Grant sich auf den Rückweg nach Stillwell, um dort seine erste Schicht anzutreten.

Das Büro des Deputy lag direkt an der Hauptstraße, die an eine klassische Westernkulisse erinnerte. Ebenso wie alle übrigen Häuser an der Mainstreet war das einstöckige Gebäude aus Holz, besaß eine vorgelagerte Veranda und die traditionellen Anbindebalken für Pferde.

Auf dem Vordach prangte ein verwittertes Schild mit der Aufschrift ‚Sheriff‘s Office‘, ein Überbleibsel aus der Zeit, als jede Gemeinde noch ihren eigenen Sheriff hatte und nicht dem zentralen Department des Countys unterstellt war.

Grant stellte den Jeep neben dem Polizeiwagen ab, nahm Waffe und Marke vom Beifahrersitz und stieg aus. Nachdem er das Büro betreten hatte, dauerte es einen Moment, bis seine Augen sich von dem hellen Sonnenlicht draußen auf das schummrige Halbdunkel des Büros eingestellt hatten. Die Rollos vor den beiden Fenstern waren heruntergelassen, und als er sich umschaute, erkannte Grant auch den Grund dafür. Hinter einem mit unordentlichen Papierhaufen übersäten Schreibtisch saß ein weißhaariger Mann in der typischen Uniform eines Deputy, bequem zurückgelehnt in einem verschlissenen Lederstuhl. Er hatte die Füße auf dem Tisch, die Arme vor der Brust verschränkt, den cremefarbenen Stetson auf dem Gesicht, und hielt ganz offensichtlich ein Nickerchen.

Grant räusperte sich leise. »Hallo.«

Der Alte fuhr hoch, dabei fiel der Hut auf den Boden. »Hey Mister, was kann ich für Sie tun?«

»Fred Carson, nehme ich an? Ich bin Grant McDermott, der neue Deputy.«

Umständlich erhob der Mann sich aus seinem Stuhl, klaubte den Stetson auf und warf ihn achtlos auf den Tisch.

»Na dann«, er reichte Grant die Hand und grinste breit, »ich bin Freddy – willkommen in Stillwell. Wie wär‘s mit einem Kaffee?«

»Gerne.«

Während Freddy zur Kaffeemaschine schlurfte und frisches Wasser einfüllte, hatte Grant Gelegenheit, sich umzusehen.

Der etwa zwanzig Quadratmeter große Raum wirkte schäbig und hätte dringend einer Renovierung bedurft. An den Wänden, die früher einmal weiß gewesen sein mochten, blätterte die vergilbte Farbe ab und gab den Blick auf das wurmstichige Holz frei. Der Linoleumfußboden war zerschrammt, unter der schmutzig-grauen Decke drehte sich ein überdimensionaler Ventilator gemächlich im Kreis und wirbelte Millionen von Staubkörnchen herum.

Direkt neben dem Eingang waren ein paar bunt zusammengewürfelte Stühle aufgestellt. Ein zweiter Schreibtisch, der dem von Freddy gegenüberstand, war ebenfalls mit Papieren übersät, zusätzlich befanden sich noch ein Monitor und ein altmodischer Desktop-PC darauf. Ein verbeulter, metallener Aktenschrank stand an einer Wand, daneben ein hölzerner Schrank, durch dessen blinde Glastüren man schemenhaft die Umrisse von mehreren Gewehren erkennen konnte. Auf der anderen Seite gab es einen verrosteten Kühlschrank und einen kleinen Tisch mit der Kaffeemaschine und einigen Kaffeebechern, dazwischen war eine Tür, die vermutlich zum Waschraum führte. Die texanische Flagge und das Sternenbanner der Vereinigten Staaten lehnten in einer Ecke, allerdings war der Stoff recht verblasst und hatte wohl auch schon einmal bessere Tage gesehen.

»Du bist also einer von den McDermotts«, sagte Freddy jetzt, während er etwas von der braunen Brühe in einen Becher goss und ihn Grant reichte.

»Ja, mein Vater war der Bruder von Charles McDermott«, bestätigte Grant.

»Hat sich zu Tode gesoffen, der dämliche Idiot«, war Freddys Kommentar. »Aber seine Jungs sind prima Kerle geworden, und das Mädel, Lauren, auch. Hat keiner gedacht, so wie der Alte mit ihnen umgesprungen ist.«

Schweigend trank Grant einen Schluck Kaffee und musterte Freddy unauffällig. Seinem wettergegerbten Gesicht und den tiefen Lachfalten um seine lebhaften, blauen Augen nach zu urteilen, musste er Ende sechzig sein. Die Uniform schlackerte um seinen hageren Körper, die olivgrüne Hose wurde von zwei breiten Hosenträgern in Position gehalten. Auf dem kakifarbenen Hemd befanden sich allerlei Flecken, die Aufschluss über die Mahlzeiten gaben, die Freddy in den letzten Tagen zu sich genommen hatte.

Er schien ein echtes Unikum zu sein und Grant war ganz froh, nicht allein in diesem düsteren Büro sitzen zu müssen.

»Deine Eltern habe ich auch noch gekannt«, schwatze Freddy jetzt weiter, »hatten früher das Inn an der Dunloe Street. Sind dann nach Houston gezogen, oder?«

»Ja«, Grant nickte, »stimmt.«

»Na, das wird eine ziemliche Umstellung für dich werden, Junge. In Stillwell ticken die Uhren ein bisschen anders – ruhiger und gemütlicher. Es gibt hier keine Drogendealer und Bankräuber, und seit Lauren den Saloon übernommen hat, nicht mal mehr eine ordentliche Prügelei.« Der Alte verzog bedauernd das Gesicht und fuhr fort: »Vorher konnten wir wenigstens ab und zu mal einen der Cowboys zum Ausnüchtern in die Zelle sperren, doch jetzt ist hier tote Hose. Ab und zu mal ein paar entlaufene Hühner einfangen oder Mabels Kater aus ihrem Apfelbaum holen, das ist alles. Du wirst es sicher langweilig finden.«